Unterwegs in Namibia

49 Tage und mehr als 6500 Kilometer kreuz und quer durch Namibia, über meist ungeteerte Pisten, durch Wüsten-, Savannen- und Berglandschaften, so weit und so einsam, dass wir stundenlang kein Haus, keine Menschen, kein anderes Auto sehen. Die Weiten des Damaralands, die Namibwüste, karg und wasserlos, das monumentale Tal der Ugab-Terrassen, die Kalahariwüste, deren roter Sand jetzt in der Regenzeit mit grünem Flaum überzogen ist, die riesigen Dünen von Sossusvlei – so viele unglaubliche Eindrücke.

Unsere Route durch Namibia

Ohne Auto geht nichts in Namibia und öffentliche Verkehrsmittel sind hier eher ein Fremdwort. Fast jeder fährt einen Geländewagen, doch, wir erwähnten es ja schon, für uns Zu-spät-Kommer blieb nur ein durchaus geräumiger Allrad-SUV, der hier allerdings unter die „small cars“ fällt.

Vor der Kulisse ist jedes car small

Beim Autofahren sind in Namibia ganz andere Dinge wichtig als im europäischen dicht an dicht. Deutsche Vergangenheit hin oder her, hier wird links gefahren. Den Tank bitte so voll wie möglich, wer weiß, wann die nächste Tankstelle kommt. „One point eight“ Reifendruck, damit kommt man sowohl über Schotter als auch Teer oder Sand. Die Autos sind rundum mit einer durchsichtigen Folie abgeklebt gegen die wirbelnden Steine auf der Straße, die Reifen extra versiegelt und ohne Allradantrieb bleibt man sogar bei einigen Parkplätzen ausgesperrt.

Noch nicht mal in den Städten sind alle Straßen geteert, in der Einöde ist eine Asphaltdecke eher die Ausnahme. Kommt wirklich mal Gegenverkehr, wird man in eine Staubwolke getaucht, die erst nach mehreren hundert Metern den Blick auf die Welt wieder freigibt. Bodenrillen können die Fahrt ziemlich holprig machen und nach heftigem Regen stellen die bei uns zum Glück immer trockenen Flussbetten, durch die man alternativlos durch muss, sicherlich kein allzu großes Vergnügen dar. Und geht es erst mal bergauf, kann’s richtig gruselig werden. Den Spreetshoogte Pass, der die Namibwüste mit dem Khomas-Hochland verbindet, sind wir zwar heil hochgefahren. Runter wollten wir dort aber auf gar keinen Fall. Enge Kurven und 22% Steigung an der steilsten Stelle – aber wenigstens ist er meistens geplättelt…

Dazu kommen dann noch die Tiere. Antilopen aller Art, Wildschweine oder auch nur eine Ziegenherde tauchen gerne mal unvermutet auf der Straße auf. Aber auch die vielen kleineren Tiere, herzige Erdhörnchen, putzige Schildkröten oder hübsche Wüstenfüchse wollten wir in keinem Fall auf dem Gewissen haben.

In diesem großen menschenarmen Land sind die Annehmlichkeiten der Zivilisation dünn gestreut. Der nächste Supermarkt? Oder gar die nächste Tankstelle? Och, so 100 Kilometer entfernt, diese Auskunft kriegt man auf den einsam gelegenen Gästefarmen gar nicht so selten. Tankstellen gleichen den letzten Außenposten der Zivilisation, über und über verdreckte Geländefahrzeuge mit mehreren Reservekanistern und -reifen warten auf Befüllung. Das winzige Solitaire in der Namibwüste haben wir dann gleich zwei mal angesteuert – die einzige Tankstelle, der einzige Minisupermarkt, die einzige Apple Pie im Umkreis von vielen vielen vielen Kilometern trockener Wüste. Eine Kirche, ein Restaurant, ein kleiner Laden, ein Reifendienst und eine Tafel mit der Niederschlagsmenge seit 2009 – was braucht es schon mehr hier in der Wüste?

Natürlich fragen wir uns, ob wir mit unserem „small car“ hier wirklich durchkommen. Mit einem Reserverad und dem wackligen Wagenheber. Ich nehm’s vorweg: tun wir. Gut, zweimal machte ein Reifen schlapp, aber zum Glück war immer ein rettender Reifenprofi in der Nähe, um ihn innerhalb kürzester Zeit zu flicken. Aber als wir über 300 Kilometer von Sossusvlei Richtung Süden entlang des Namib-Naukluft-Parks fuhren, auf der ganze Strecke vielleicht fünf Autos begegneten und nicht eine Sekunde lang Handy-Empfang hatten, schwang sie schon ein bisschen mit, die Befürchtung, was jetzt wäre, wenn sich ein Reifen auf der Holperstrecke mit lautem Puff verabschiedet. Hätten wir das Reserverad auf dem weichen Untergrund rauf gekriegt aufs Auto? Und was wäre, wenn sich gleich zwei Reifen entleeren? Aber, unser excellent luck aus dem japanischen Tempel, wohl behütet in einer kleinen Schachtel in meinem Gepäck, hat uns auch hier wieder vor Schlimmerem bewahrt – schon unglaublich, dass die Reifen immer dann den Geist aufgaben, wenn ein hilfreicher Flickmeister in der Nähe war. Aber wir verstehen jetzt gut, warum unser Reiseführer empfiehlt, am besten gleich zwei Reserveräder mitzunehmen. 

Mit vollem Tank, one point eight Druck im Reifen, zwei Kanistern Wasser und mehreren Tüten Chips an Bord war es trotzdem ein riesiges Vergnügen, durch diese wunderbaren Landschaften zu fahren. Namibia ist ein Abenteuer, und zwar größtenteils ein ziemlich komfortables. Und die Erleichterung, nach vielen einsamen Kilometern heil angekommen zu sein, gehört wohl einfach mit dazu. Zwar liegen zwischen Eingang der Gästefarm und dem tatsächlichen Gebäude gerne mal zehn Kilometer auf sehr sehr unbefestigten Wegen, Gatter auf, Gatter zu, Achtung Schafe, Kühe, Springböcke. Aber dann taucht irgendwann ein großes Haus auf, fast wie eine Fata Morgana, mit kühlem Bier und perfektem Steak. Fahren ist anstrengend in Namibia, aber die Straßen bringen uns zu Orten höchster Glückseligkeit 🙂

So viele Tiere!

Windhoek, deutsches Erbe und die netten Zeltplätze – aber jetzt muss es endlich mal um das gehen, was Namibia eigentlich ausmacht – die Natur. Ganz besonders die Tierwelt. Und ganz besonders viele schöne Tiere sollen im Etosha-Nationalpark wohnen. Also machen wir uns auf Richtung Norden. 

Der Etosha-Nationalpark umfasst 23.000 Quadratkilometer, das ist so in etwa die Größe von Mecklenburg-Vorpommern. Mittendrin befindet sich die Etosha-Pfanne, fast 5000 Quadratkilometer groß, schneeweiß und wegen des hohen Salzgehalts des Bodens fast unbewachsen. Ansonsten viel Savanne und weil es gerade so ausgiebig regnet auch viel Steppengras.

Und viele Springböcke!

Um einen Eindruck von der Vielfalt des Parks zu bekommen, sind mehrere Tage notwendig. Wir haben ihn von Osten nach Westen durchquert, von drei der vier Eingänge aus, haben in und außerhalb des Parks übernachtet und eigentlich war alles toll. Der Campingplatz Olifantsrus im Park war doppelt so teuer und halb so komfortabel wie alle anderen außerhalb, aber dafür konnten wir stundenlang im bequemen Beobachtungsturm am Wasserloch sitzen um – na ja, ein paar Springböcke zu sehen. Aber es war ultraentspannt, so gemütlich in die Wildnis zu schauen und Springböcke sind ja einfach wunderschön.

Aber jetzt mal von Anfang an. Schon auf der Straße zum Park bekommen wir einen ersten Eindruck, was uns so alles erwarten könnte. Wie in einer ausgeklügelten Dramaturgie warnen die Schilder spannungssteigernd vor Warzenschweinen, Springböcken, Zebras, Giraffen und Elefanten. Letztere werden ein Mythos bleiben.

Unser erster Campingplatz hat ein gutes Restaurant, Oryx-Steaks wandern in unsere Mägen und leider schmeckt die edle Antilope ganz hervorragend. In den folgenden Wochen essen wir dann fast alles, was wir auch gesehen haben, von Impala über Eland bis hin zu Kudu und Springbock. Verzeiht mir, ihr wunderschönen Tiere, aber als Vegetarierin hätte ich in Namibia, eine der Grill-Hochburgen der Welt mit einer bei uns nicht ansatzweise zu erreichenden Fleischqualität, wirklich nichts zu suchen.

Oryx-Antilopen

Am nächsten Tag startet dann unser Abenteuer Etosha. Am Eingangstor wird genauestens vermerkt, wer mit welchem Auto und für wie lange in den Park fährt, ein prüfender Blick ins Wageninnere, Plastiktüten sind hier verboten und ich zittere kurz, sind doch all unsere Lebensmittel und unser Geschirr in eben solchen verpackt. Aber auch unter die Sitze gestopft, da müssten sie schon unter selbige schauen und großes Ehrenwort: wir haben nicht vor, sie während unserer Fahrt durch den Park aus ihrem Versteck zu befreien und in die schöne Natur fliegen zu lassen.

Eine Riesentrappe

Die ersten 15km geht es über eine locker zu befahrende geteerte Straße, dann ist das Besucherzentrum Namutoni erreicht. Noch mal registrieren, zahlen, tanken, Reifendruck kontrollieren. Jetzt also los! Nachdem wir die Station verlassen haben, geht es auf Schotterpisten weiter, häufig keine große Herausforderung, manchmal schon. Der viele Regen hat aus manchen Straßenabschnitten kleine Teiche gemacht, wie tief und wie schlammig, das erfährt man erst beim Durchfahren. Im Park darf maximal 60 gefahren werden, an vielen Stellen muss man froh um 40, manchmal 20 sein. Aussteigen ist hier strengstens verboten – die Löwen….

Also fahren wir, biegen an den Wegen zu den Wasserlöchern ab – vergebens. In der Trockenzeit sammeln sich die Tiere hier und unfassbare Beobachtungen und Photos sind möglich. Jetzt in der Regenzeit gibt es genügend Wasser, der Anmarsch zum Wasserloch ist für die Tiere nicht nötig. Also verlassen wir uns auf die Sichtungen von der Straße aus. Und die gibt es dann reichlich. Hunderte der eleganten Springböcke mit ihrer grazilen Zeichnung und dem reizenden kleinen Geweih. Kudus mit geschwungenen Hörnern und dem gestreiften Hinterteil. 

Ein edler Kudu

Ich wollte vor allem nach Afrika, um Giraffen in freier Wildbahn zu sehen. Die ließen sich Zeit, fast hatte ich es schon aufgegeben. Auf der traumhaften Jansen-Farm in der Kalahari lebte ein reizendes Pärchen, das uns abends beim Dinner zuschaute und auch mal an unserem Bungalow besuchte – supertoll, aber auf einer Farm, einer großen zwar, aber das ist eben doch keine freie Wildbahn. Und dann versuchten wir es ein zweites Mal mit Etosha – und wurden belohnt. Kleine Giraffen, große Giraffen, gemütlich kauend oder über die Straße trottend, allein oder zu sechst – mein Giraffenhunger ist für kurze Zeit ein wenig gestillt. 

Und Zebras! Große Herden in der weiten Landschaft, die selteneren Bergzebras in kleineren Gruppen am Rande der Berge.

Gnus und alle schon erwähnten, die unserem Appetit zum Opfer fielen.

Gnu: den haben wir leben lassen.

Die schönsten davon sind wahrscheinlich die Oryxe, mit ihren langen kerzengeraden Hörnern und ihren schwarzen Masken könnten sie auch geradewegs einem Märchenbuch entsprungen sein. Julia und die Rache des friedlichen Oryx.

Oryx ganz nah

Zwei Nashörner – ein Breitmaulnashorn in der Ferne, ein Spitzmaul am Wegesrand. Aber: da hat uns Nepal einfach schon die weltbesten Nashornerlebnisse geliefert und wir merken, dass es beeindruckender einfach nie wieder sein kann. War trotzdem toll!

Elefanten – auch da leider Fehlanzeige. Schade, aber erwähnte ich Nepal schon? 🙂

Und dann die Löwen. Das wäre natürlich was gewesen. Doch die meisten Löwenbegegnungen finden an Wasserlöchern statt – und die sind für die Großkatzen gerade einfach nicht attraktiv. Gibt’s überall Wasser, mag der Löwe offensichtlich nicht wandern. Und ganz ehrlich: ich las so häufig von Löwen, die gesichtet wurden, als sie gerade ein Zebra verspeisten. So wenig Hemmungen ich beim Oryx-Steak hatte – das will ich nicht sehen. Dann doch lieber Zebras, die das Leben genießen 🙂

Habe ich schon die kleinen Erdhörnchen erwähnt, die den Erdmännchen in Sachen Putzigkeit Konkurrenz machen? Die aufgeregten Helm-Perlhühner, die über die Straße spritzen? Die sehr hübschen, aber auch sehr scheuen Steinböckchen mit riesigen Ohren, die schnell im Buschland verschwinden? Die vielen Strauße, die ihre Jungen spazieren führen? Paviane? Etosha ist eine Wunderwelt, die wir unbedingt auch in der Trockenzeit noch mal erleben müssen. Das mit den verpassten Löwen kann ich bis dahin verschmerzen.

Ich muss noch kurz das Zelt retten

Wir planen unsere Reisen nicht. Flug und die ersten zwei, drei Nächte, mehr meistens nicht. Das ist einerseits spannend, denn wir können uns nach Lust und Laune auf das Land einlassen. Bleiben, wo es uns gefällt und schnell wieder gehen, wenn es uns nicht überzeugt. Andererseits riskieren wir so aber auch, schöne Dinge zu verpassen. Das tolle Hotel – das hätte man ein paar Wochen im Voraus buchen müssen. Nicht genügend informiert über die Gegend und weitergefahren – leider eine spektakuläre Wanderung verpasst. Und mit einer Woche Vorlauf die Autovermietungen angefragt nach einem Geländewagen, möglichst mit Dachzelt – also wirklich, die sind seit Monaten reserviert. Wir sehen uns schon im VW Polo über die Wüstenpisten holpern, da findet sich zumindest ein SUV mit Allradantrieb für uns. Ein eher größeres Auto für deutsche Verhältnisse, in Namibia lächelt schon unsere erste Lodge über unser „small car“.

So klein bin ich jetzt wirklich nicht

Und natürlich passt da kein Dachzelt drauf, also müssen wir erst mal einkaufen gehen. Die Outdoorausrüster in Namibia sind bestens bestückt mit soliden und ziemlich schweren Zelten. Wir hatten uns zwar ein wesentlich kleineres Exemplar vorgestellt, aber wir werden noch merken, wofür die sehr stabile Konstruktion gut ist. Ein Luftbett samt Profipumpe, Gaskocher, Moskitolampe und Hammer für störrische Böden wandern in unseren Kofferraum und dann mal los zum ersten Test in freier Natur.

Hier wird fürs Duschvergnügen gefeuert

Der Campingplatz auf der Gästefarm Hamakari ist der Traum, nur ein paar Stellplätze, jeder mit schattigem Baum, Grillplatz, Tisch und Bank ausgestattet, blitzsaubere Toiletten und Duschen, die abends mit Holz angefeuert werden, das das Wasser bis zum nächsten Vormittag warm hält. Dazu ein Wasserloch in Sichtweite, an dem sich am späten Nachmittag Springböcke versammeln.

Mein Auto, mein Zelt, meine Nudelsuppe

Das Zelt baut sich leichter auf als befürchtet, mit dem Luftbett wird es richtig gemütlich und wir schlummern früh ein – bis etwa Mitternacht. Da liegen wir dann fast auf dem harten Zeltboden. Unser schönes Luftbett muss ein Loch haben. Vielleicht hätten wir den Boden zuvor doch intensiver nach Resten dorniger Äste absuchen sollen. Eric pumpt erneut, es hält vielleicht zwei Stündchen, dann müssen wir wieder ran. Wenig geruhsam unsere erste Zeltnacht und zu finden ist das winzige Loch natürlich nicht. Aber wir haben für namibische Verhältnisse Glück: der nächste größere Ort ist „nur“ 100 km auf einer geteerten Straße entfernt. Also keine Wanderung am Waterberg am nächsten Tag, sondern auf nach Otjiwarongo. Das erweist sich als netter Abstecher, ein ganz normaler namibischer Ort mit überwiegend schwarzer Bevölkerung, der einem endlich das Gefühl gibt, mitten in Afrika zu sein. Wir bekommen ein neues Luftbett, das in den kommenden Wochen wacker durchhält, und essen lecker im sehr fröhlichen Etemba Beerhouse. Die gemütlichen Zeltnächte können kommen!

Eine Besonderheit in Namibia sind Campingplätze mit eigenem Wasch- und Küchenhäuschen für jedes Zelt. Toilette, Dusche, Spülbecken und überdachten Sitzplatz hat man ganz für sich alleine, mal urig aus Bambus und Holz gebaut, mal nachgerade luxuriös. Und immer extrem sauber. Häufig sind dann noch ein Pool, ein hervorragendes Restaurant und ein Wasserloch zur Tierbeobachtung ganz in der Nähe. Damit man sehen kann, was man da gerade auf dem Teller hat 🙁 

Es ist Regenzeit in Namibia und wir haben uns zum Etosha-Nationalpark im Norden aufgemacht. Und hier kann schon mal ein ordentlicher Guss vom Himmel kommen, inklusive Blitz, Donner und Wind. Am Etosha Trading Post könnte das Zelt sogar unter dem Unterstand vor unserem Waschhäuschen stehen, aber es gibt auch einen hübschen Platz unter freiem Himmel, mit Steinboden ohne schlafgefährdende Dornen und spitze Steine. Heringe kann man hier zwar nicht einschlagen, aber wir sind ja wohl schwer genug, um das Zelt an Ort und Stelle zu halten. Düstere Wolken türmen sich auf, Donner aus vielen Richtungen, es fängt an zu tröpfeln. Das hält das Zelt locker aus und sicher sieht das hier alles viel bedrohlicher aus als es eigentlich ist. Oder nicht? Mittlerweile brodelt der Himmel, dicke Tropfen in stetig steigender Frequenz, jetzt pladdert es und auch der Wind nimmt Fahrt auf. Eigentlich ist es bereits ein Sturm, der kräftig an den Zeltwänden zerrt. Und hat es sich nicht sogar ein Stück bewegt, unser Zelt? Komm, wir ziehen es unter den Unterstand, da ist es geschützt. Eric packt den Zeltboden an der einen, ich an der anderen Seite, wir ziehen und müssen es ein klein wenig anheben, um es über einen Absatz zu bekommen – da fährt der Sturm unter das Zelt, reißt es uns aus den nassen Händen, hebt es an und schleudert es Richtung Waschhäuschen, um dessen Seitenwand es zu verschwinden droht. In Sturm, Regen und Dunkelheit kann ich es nicht mehr sehen. Aber Eric ist zur Ecke des Häuschens gesprungen und hat das Zelt zu fassen gekriegt. Wie ein Windsurfer hält er mit beiden Händen eine Stange und stemmt sich pitschnass gegen den Wind. Ich kriege auch eine Stange zu fassen und gemeinsam schaffen wir es, das Zelt um die Ecke und unter den Unterstand zu ziehen. Gerettet! Aber drinnen ist wahrscheinlich alles pitschenass. Nichts da, namibische Qualitätsarbeit, im Zeltinneren ist zwar alles kräftig durcheinandergeschüttelt, aber Matratze und Schlafsäcke sind fast komplett trocken geblieben. Gerade mal ein kleiner unbedeutender Knick in einer der soliden Stangen. Ich hab uns schon im Auto schlafen sehen, sagt Surfer-Eric, aber das wäre nix geworden – da hat es nämlich heftig reingeregnet, die Rückbank des japanischen Qualitätsprodukts ist komplett nass. Das möge uns für heute Nacht aber erst mal egal sein. Eric bindet die Zeltecken mit unserer Wäscheleine an den Stützpfeilern des Unterstands fest und einer gewitterlauten, aber drinnen trockenen Nacht steht nichts mehr im Weg.

After the rain….

Trotzdem: Zelten ist in Namibia ein absolutes Muss! Komfortabel und mitten in der Natur, an wunderschönen Orten und ziemlich günstig. Ein kleiner Eindruck:

Den spektakulärsten Blick und allerschönsten Sternenhimmel hatten wir im freundlichen Bushman’s Desert Camp.

Wie im Designerhotel und mit hervorragendem Essen haben wir die Kronenhof Lodge genossen. Und der Blick von der Terrasse des Restaurants war absolut einmalig!

Balifeeling kam in der hübschen Holzhütte mit Open Air Dusche an der Sossus Oasis Campsite direkt am Sossousvlei Nationalpark auf und obendrein bekamen wir noch Besuch von einer Oryxherde.

Deswegen: wenn Namibia, dann unbedingt mit Zelt. Nicht immer, denn die vielen spektakuläre Lodges darf man nicht verpassen. Am Boden oder auf dem Dach eines Geländewagens – wenn man früher dran ist als wir,  hat man die Wahl. In jedem Fall sind unvergessliche Erinnerungen garantiert!

Deutsche Spuren im Sand

Unser Namibia-Abenteuer beginnt im tiefen europäischen Winter, genau gesagt an Heiligabend. Nicht anders als daheim nutzen die Namibier die Feiertage für eine Auszeit. Und zudem sind auch noch Sommerferien. Folglich hat auch das kleine Café neben unserem Hotel, in dem es eigentlich Frühstück gibt, zu. Also machen wir uns auf und suchen eine Alternative. Und schon beim Gang durch die Straßen wird uns klar – die kurze deutsche Kolonialzeit wirkt nach. Bei uns um die Ecke kreuzt die „Feldstrasse“ die „Prinz-Hubertus-Strasse“ und bald gelangen wir zum großen Spar-Supermarkt, in dessen Café wir uns niederlassen. Serviert werden hier „Delicious Brötchens“, gerne auch als „Kornspitzbrötchen“ oder „Knusperstange“, belegt mit „Rohhack“, „Mettwurst“ oder „Leberkäse“. Um uns herum eine interessante Mischung aus entspannten Rentnern und kernigen Outdoorburschen, alle weiß, fast alle sprechen deutsch und scheinen sich zu kennen. Das sind keine Touristen, diese Menschen leben hier. Die Bedienungen hingegen sind alle schwarz.

Die Deutsche Kolonialzeit in Namibia währte gerade mal 30 Jahre, von 1884 bis 1915, drückte dem Land aber einen bis heute spürbaren Stempel auf. Der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts geht auf das Konto der Deutschen und hier richteten sie die ersten Konzentrationslager ein. General Lothar von Trotha reagierte auf die Aufstände der Herero und Nama gegen die deutsche Kolonialmacht mit dem festen Willen, die Völker auszurotten. Tod durch Verdursten und Internierung waren seine bevorzugten Mittel. Der deutsche Kaiser unterstützte das Vorgehen des Generals und am Ende waren 50.000 bis 70.000 Menschen der beiden Volksstämme tot. Erst 2015 erkannte der Bundestagspräsident die Verbrechen als Völkermord an.

Kapp’s Konzert und Ball-Saal mit Kegelbahn in Lüderitz

Aber auch unter den deutschen Zivilisten befanden sich einige Schurken. Zwei Namen stechen hier besonders heraus: Der Bremer Kaufmann Adolf Lüderitz, erster deutscher Landbesitzer in Südwestafrika, der seine afrikanischen Vertragspartner heftigst über den Tisch zog und dem Deutschen Reich überhaupt erst einen Grund gab, eine Schutzstaffel zu entsenden. Bis heute ist der Ort Lüderitz an der Atlantikküste nach ihm benannt. Und dann Adolph Woermann, Hamburger Reeder, der sich die Alleinrechte für Schifffahrten von Deutschland nach Südwestafrika sicherte, seine Monopolstellung schamlos ausnutzte und gleich noch die afrikanischen Länder mit Branntwein gefügig machte. Zwei prächtige Woermann-Häuser in Swakopmund und Lüderitz lassen nicht vermuten, wie umstritten ihr Namensgeber ist.

Altes Reklameschild für die Woermann Linie in Swakopmund, Woermann-Haus in Swakopmund, Haus der Woermann-Linie in Lüderitz

Heute leben etwa 20.000 Deutschnamibier im Land, Nachfahren der Kolonialisten oder nach den Kriegen Zugezogene. Die meisten von ihnen haben neben der namibischen auch noch die deutsche Staatsangehörigkeit, schicken ihre Kinder zur Ausbildung nach Deutschland und verfolgen sehr genau mit, was in der Heimat ihrer Vorfahren so passiert. Ihrer Identifikation als Namibier scheint das aber keinen Abbruch zu tun. Teilweise in der fünften Generation sprechen sie deutsch, dem die regionale Zugehörigkeit ihrer Ahnen noch deutlich anzuhören ist. Auf Hamakari, der Farm der Familie Diekmann, werden wir mit einem norddeutschen Akzent begrüßt, der auch aus Hamburg stammen konnte. Ausgewandert ist Georg Diekmann aus Diekmannshausen am Jadebusen allerdings bereits 1907 und seine Nachfahren sind alle in Namibia geboren.

In den kleinsten Orten finden sich deutsche Spuren. In Aus übernachten wir im „Bahnhof Hotel“, mitten in der Wüste steht ein Wegweiser nach „Helmeringhausen“ und so richtig skurril wird es in Swakopmund. Das Haus Hohenzollern, die Apotheke von Emil Kiewitt, das Alte Amtsgericht –  alles da, was zu einem deutschen Städtchen des beginnenden 20. Jahrhunderts gehört. Wenn da nicht die breiten staubigen Straßen und der donnernde Atlantik wären.

Von den paar Sendern, die unser Autoradio empfängt, wird
in etwa der Hälfte deutsch gesprochen. Und gesungen, deutscher Schlager scheint hier dankbare Abnehmer zu finden. Die „Aktuelle Zeitung“ erscheint seit 1916 und berichtet fast täglich über Neues aus Namibia, der Welt und vor allem Deutschland.

Die deutschen Spuren lassen sich auch auf den Friedhöfen nachverfolgen: Soldaten, Kolonialverwalter, jüdische Flüchtlinge und viele sehr jung verstorbene Kinder.

Wir haben ein paar Leute in Namibia gefragt, ob sie es nicht komisch fänden, diese fast schon deutsche Dominanz. Franz vom Bushman’s Wilderness Camp schaut uns fragend an, die Deutschen leben schon so lange hier, ist doch nett, dass sie ihre Geschichte kultivieren. Auch in der Kronenhof Lodge wird von Orten wie Swakopmund mit seinen historischen Gebäuden geschwärmt. Traumatische Spuren im Gedächtnis scheint für die Namibier eher die  Zeit der südafrikanischen Verwaltung bzw. Besatzung hinterlassen zu haben. Aber der Umgang mit dem kolonialen Erbe wird schon lange diskutiert in Namibia, die Umbenennung so manch einer Wilhelm- oder Bismarckstraße ist bereits vollzogen und Lüderitz hat bisher eher aus wirtschaftlichen Gründen seinen Namen behalten – weil die deutschen Touristen es halt so putzig finden.

Auch die Küche ist vertraut 🙂

Die Krönung unserer Reise zu den Spuren deutscher Siedler in Namibia ist Kolmannskuppe kurz vor Lüderitz. Der Diamantenrausch ließ hier ab 1908 mitten in der Wüste eine völlig skurrile deutsche Welt entstehen, mit Villen, die genau so auch in Hamburg oder Stuttgart stehen könnten, einer Bäckerei und Schlachterei, einem großen Festsaal und als Krönung einer Kegelbahn. In der Hochzeit galt Kolmannskuppe als reichste Stadt Afrikas, aber die Edelsteine waren endlich und ab 1930 leerte sich der Ort. Der Sand drang in die Häuser ein und ein dekoratives Geisterstädtchen entstand, in dem man stundenlang durch die Gebäude streifen, die verblassten Jugendstildekorationen bewundern und alte Badezimmer im Sand versinken sehen kann.

So interessant dieses Deutschland in der Wüste ist – wir bleiben zwiespältig. Am deutlichsten wird das für mich an der Christuskirche in Windhoek. Die Vereinigung der Ostpreußen in Namibia hat hier in den achtziger Jahren einen Gedenkstein verlegt – für die verlorenen deutschen Ostgebiete. So wichtig ich die Erinnerung an Flucht und Vertreibung finde, wie kommt man bitte schön auf die Idee, diese hier in Namibia zu zelebrieren?
Dann die großen Farmen – viele seit Generationen in deutscher Hand und ursprünglich für nen Appel und nen Ei erworben. Dagegen die lokalen Bauern, die ihr Vieh auf schmalen Streifen neben der Straße weiden lassen müssen, weil die Farmen über hunderte von Kilometern eingezäunt sind. Andererseits bieten die Farmen vielen Menschen Arbeit und ein Auskommen. Wir sind einfach zu kurz hier und viel zu wenig eingetaucht in Geschichte und Kultur, um uns hier eine wirklich fundierte Meinung bilden zu können.

Jedenfalls sind die Deutschen fester Bestandteil der multiethnischen Gesellschaft Namibias. Deutsch ist eine der vielen Nationalsprachen und irgendwie bringt uns die deutsche Vergangenheit – auch in all ihrer Grausamkeit – dem Land näher als das bei anderen afrikanischen Ländern der Fall gewesen wäre. So belassen wir es vorerst dabei, die Skurrilität der kleinen deutschen Inseln in Afrika zu genießen und zu hoffen, dass die Nachfahren der deutschen Einwanderer zur Bereicherung der namibischen Kultur beitragen.

 

Koffergeschichten

Das Willkommen in Namibia hätte herzlicher sein können. Was allerdings nicht an den Namibiern, sondern an der äthiopischen Fluglinie liegt, die uns von Kairo in den Süden Afrikas expediert. Pünktlich landen wir in Addis Abeba, anderthalb Stunden Umsteigezeit müssten da eigentlich reichen, wenn sich zwischen uns und unserem Gate für den Weiterflug nicht eine riesige Schlange Menschen winden würde. Sicherheitskontrolle. Falls wir im Flugzeug kurz mal ein Messerchen geschnitzt haben. Nie im Leben reicht das, um unseren Flug zu erreichen. Oh doch, sagt der Flughafenmitarbeiter stolz, sie hätten einen Standard von einer halben Stunde. Nach 20 Minuten stehen wir immer noch hinten in der Schlange, da fordert uns ein Mitreisender auf, uns einfach vorzudrängeln. Los, sagt er, sonst kriegt ihr den Flug nie, deutet auf das Absperrband, untendurch! Peinlich ist uns das, aber wir tun es. Und erreichen dann gerade so das Gate, an dem das Boarding schon begonnen hat. Puh. Ethiopian Airlines belohnt uns dafür mit dem schlechtesten Essen, das sie auftreiben konnten, serviert aber dafür zu schönster Frühstückszeit keinen Kaffee. Aber wenigstens sind sie pünktlich, am frühen Nachmittag landen wir in Windhoek. Geschafft!

Ähm, wir sind da. Aber war da nicht noch was? Unsere Mitreisenden ziehen nach und nach mit ihrem Gepäck von dannen. Das Gepäckband stoppt irgendwann und uns dämmert – unsere Koffer haben wohl einen anderen Weg als wir genommen. 

Jetzt haben wir das Drama ja schon mal mit Lufthansa erlebt. Da dauerte es zwar fünf Tage, bis Erics Koffer in Indien wieder auftauchte, aber man gab ihm ein erstes Notfallpaket, kam für seine Neueinkäufe auf und fuhr ihm den Koffer von Delhi bis nach Rajasthan hinterher. Star Alliance halt und zu der gehört auch Ethiopian Airlines. Diese tolle Allianz wird ja wohl einheitliche Qualitätsstandards garantieren.

Nö, tun sie nicht. Sollen wir doch schauen, wie wir an Zahnbürsten kommen. Und zahlen tun sie erst etwas, wenn das Gepäck drei Tage verschwunden bleibt. Das möchten sie nicht riechen, sagen wir dem Angestellten, aber er zuckt nur die Schultern.

So starten wir unser Namibia-Abenteuer in Windhoeks größtem Einkaufszentrum, kaufen T-Shirts und Unterhosen, Zahnbürsten und Seife. Ein schönes Einkaufszentrum, aber wir sind jetzt mehr als 24 Stunden wach und wegen einer Shopping Mall sind wir eigentlich nicht her gekommen.

Am nächsten Tag gibt es dann fast ein Happy End, ein Anruf, die Koffer sind da! Super, dann bringt sie uns doch bitte ins Hotel. Ne, wir fahren sie ins Büro von Ethiopian Airlines, ist die Antwort. Unser Hotel ist zwar nur eine fünfminütige Fahrt weg, aber sie weigern sich hartnäckig und so bleibt uns nichts anderes übrig, als zum Büro zu laufen.

Ein Taxi lohnt sich kaum für den Rückweg, also machen wir uns nach geglückter Wiedervereinigung mit unseren Koffern zu Fuß auf. Unser Hotel ist schon fast in Sichtweite, da hält ein Polizeiauto neben uns. Ein aufgeregter Mann in Zivil bedeutet uns, wir sollen einsteigen. Er hätte Schufte beobachtet, die würden uns verfolgen und wollten unser Gepäck klauen. Was haben nur alle mit unserem Gepäck? Und warum ist der Mann in Zivil? Undercover, sagt er, aber das kommt uns jetzt doch sehr merkwürdig vor. Andererseits – das Polizeiauto ist echt, wäre das nicht ein bisschen viel Aufwand, ein Polizeiauto klauen, um dann zwei arme Touristen um ihr gerade zurückerobertes Gepäck zu bringen? Wir bleiben trotzdem auf der Straße, er besteht auf Begleitung und so laufen wir zwei Minuten später mit Polizeieskorte in unserem Hotel ein. Jetzt kann sie also losgehen, unsere Reise durch Namibia!

Kairo – Ein Chaos von Stadt

Nach drei Tagen Pyramidengucken in Gizeh sind wir endlich reif für Ägyptens Hauptstadt. Durch Uber ersparen wir uns den üblichen Taxi-Beschiss und landen nach gut einer Stunde mitten im Zentrum der 10-Millionen-Metropole. Die letzten Meter geht es zu Fuß weiter, weil der Fahrer wegen der vielen wild parkenden Autos gar nicht in unsere Straße einbiegen kann. Und so lernen wir gleich: in Kairo regieren die Autos, unerbittlich, ob parkend oder fahrend. Fußgänger sind hier nicht wirklich vorgesehen. 

Ein alter Holzaufzug mit Gittertür, der Liftboy ein älterer Ägypter im bodenlangen Gewand, bringt uns in den dritten Stock eines alten Hauses, in dem unsere Pension eine Etage einnimmt. Das „Crown Hotel“ ist eine echte Oase im Herzen der wilden Stadt, superfreundlich und super Frühstück.

Diesen Rückzugsort brauchen wir in den nächsten Tagen. Der Verkehr, die schlechte Luft, das stete Grau, in das die Stadt mitsamt ihrer Gebäude getaucht zu sein scheint. Aber trotzdem gibt es so viel zu sehen und wir versuchen, uns von dem Autoterror nicht unterkriegen zu lassen.

Wir starten unsere Entdeckungsreise in der islamischen Altstadt. Sicherlich eine der Touristenhochburgen, aber hier ist er ganz nah, der Traum vom Orient. El-Mu’izz li-Din Allah ist der sperrige Name des Straßenzuges, an dem eine historische Moschee an der anderen liegt. Es ist schon späterer Nachmittag, bald schließen die alten Gebäude, aber dafür haben wir sie fast für uns allein. 

Wir streifen durch die alten Gotteshäuser, entdecken steinerne Gänge und einsame Innenhöfe, bestaunen die hohen Kuppeln, laternengeschmückt, und genießen die Ruhe ein paar Meter von den quirligen Basarstraßen entfernt.

Der Basar selber ist voll und ganz auf Touristen ausgelegt. Verwundert stellen wir fest, dass die Handelssprache hier spanisch zu sein scheint. Und tatsächlich drängen sich große Gruppen von Spaniern oder Südamerikanern durch die Gassen und die findigen Basarhändler haben sich sprachlich sofort darauf eingestellt. Wir geben zu, wir sind eh nicht auf Souvenirs aus, sondern suchen einen Ort für das Endspiel der Fußball-WM. Die erste Halbzeit verbringen wir in einem Schnellimbiss, für die zweite ergattern wir in einer Nebenstraße Plätze vor einem Teehaus. Ob wir Franzosen seien, fragt man uns, und als wir verneinen und eine gewisse Sympathie für Argentinien durchblitzen lassen, dürfen wir bleiben.

Der nächste Tag gehört wieder mal den Pharaonen. Das Ägyptische Museum sollte zwar schon vor zwei Jahren seinen Neubau bezogen haben, aber wir kommen aus der Stadt des unterirdischen Bahnhofs und da können wir über diese Verzögerung nur milde lächeln. Sicherlich wird das neue Museum den vielen wunderbaren Exponaten sehr viel gerechter werden als der Altbau im Herzen der Stadt. Aber ob er auch so viel Atmosphäre verbreiten wird? Wie „Nachts im Museum“ kann man sich hier fühlen, ein paar Meter neben den Touristenmassen ist man allein mit verstaubten Stapeln von Sarkophagen, so viele, so prächtig, so geheimnisvoll. Gar nicht einsam geht es bei der Totenmaske des Tutanchamun zu. Manch einer versucht im Gedränge, ein Bild von der gold-blauen Pracht zu bekommen, wird aber sofort streng auf das Photographierverbot hingewiesen. Aber Tut und ich, wir kennen uns schon. 1981 war er auf Tour durch Deutschland und ich kann mich noch sehr lebendig daran erinnern, ihn in Hamburg gesehen zu haben. Aber hier hat er all seine prächtigen Grabbeigaben bei sich. Unfassbar, wie die Tempel und Gräber ausgestattet gewesen sein müssen. Und unglaublich, welche Hochkultur hier vor viertausend Jahren existierte. 

Dagegen wirken die sehr viel jüngeren Ausstellungsstücke der Kopten, die wir uns am nächsten Tag im koptischen Museum ansehen, in ihrer Machart fast naiv und ungelenk. Was natürlich eine ganz und gar unfaire Einschätzung ist, waren doch die Kopten Meister ihrer Zeit in Sachen textile Kunst. Aber gegen die Brillanz der alten Ägypter kommt halt kaum jemand an. Das koptische Viertel Kairos ist wieder eine Welt für sich, diesmal eben eine christliche. Auch hier reiht sich eine beeindruckende Kirche an die andere, christliche Geschichte wurde hier geschrieben, denn der Legende nach rastete Jesus mit seinen Eltern am Ende ihrer Flucht nach Ägypten in der Höhlenkirche. Position und Schicksal der Kopten in Ägypten sind schwierig, immer wieder kommt es zu teilweise tödlichen Spannungen zwischen den Religionen.

Unser letzter Tag in Kairo gehört den wichtigen Moscheen der Stadt. Die Zitadelle von Saladin, die hoch über der Stadt thront, beherbergt die Muhammad Ali Moschee, die wohl bedeutendste in Kairo. Von der Terrasse aus kann man über die Stadt hinweg bis zu den Pyramiden schauen und es könnte ein so phänomenaler Blick sein, wenn da nicht dieser Dunst, dieses Grau, dieser Abgasmoloch wäre. Doch auch wir tragen umgehend wieder dazu bei, weil die nächsten großen Moscheen zwar in Sichtweite unterhalb der Zitadelle liegen, der eigentlich erträglich lange Fußweg dorthin aber gesperrt ist. 

Schwierig, schwierig, dieses Kairo. Eine Stadt, die sich immer weiter ausdehnt und jeder, der es sich leisten kann, in die etwas angenehmeren Vororte zieht. Um dann wieder mit dem Auto zum Chaos auf den Straßen beizutragen. Es gibt sie, die Metro, wir haben sie auch genutzt und sie ist angenehm, aber mit zweieinhalb Linien in dieser Riesenstadt – zu 10 Millionen Kairoern kommen noch mal 9 Millionen Menschen in Gizeh hinzu – löst sie das Problem sicherlich nicht.

Trotzdem, ich bin froh, dass wir die letzten Tage in Ägypten hier verbracht haben. Die Stadt hat viel zu bieten, das Ägyptische Museum und die historischen Viertel sind toll, wir haben hervorragend gegessen und bei sehr freundlichen Menschen gewohnt. Aber jetzt muss der Staub aus den Lungen. Komm, wir fliegen nach Namibia!

Pyramiden satt

Ich dachte, mit dem Prunk von Luxor hätte Ägypten sein Pulver weitgehend verschossen. Und die Pyramiden, wie häufig hat man die schon im Fernsehen gesehen, bei Asterix oder auf dem Cover von Zigarettenblättchen. Dann kurven wir durch den ägyptischen Verkehr und hinter einem Häuserblock tauchen sie plötzlich auf. Und ich bin so ergriffen, von dieser Erhabenheit, dieser alles überstrahlenden Schönheit, dass ich diesen Moment wohl nie vergessen werde. 

Drei Nächte wohnen wir im superfreundlichen Life Pyramids Inn mit direktem Blick von der Dachterrasse auf die Pyramiden, die Sphinx grüßt uns vom Frühmorgenkaffee bis zum Feierabendbier und die Sound and Light Show bekommen wir so häufig mit, dass wir keinerlei Bedarf haben, 20 Euro Eintritt dafür zu bezahlen. 

Schon die erhabene Sphinx, die gelassen über die Pyramiden zu wachen scheint, ist eine Sensation für sich.

Mit stoischer Gelassenheit ertragen diese Wunder der Baukunst Tausende von Touristen, die wie winzige Ameisen um sie herumwuseln, bemüht, mit ausgestreckter Hand und Zupfbewegung den richtigen Winkel zu finden, um später so zu wirken als würden sie eine Pyramide emporlupfen. Sie nehmen hin, dass sich Ströme von Menschen in ihr ziemlich unspektakuläres Inneres wagen, durch schmale schmucklose Gänge in eine im Vergleich zur Gesamtgröße winzigen Grabkammer. Sie lassen sich in ihrer Würde nicht stören von Ultraleichtfliegern, die frühmorgens den Anflug wagen, von auf einen kräftigen Bakschisch hoffende Kameltreiber oder von der herannahenden Stadt.

Die Pyramiden sind einfach nur grandios und das seit über 4000 Jahren. Veritable Weltwunder.

On the road to Indiana Jones

Vieles in Ägypten ist auf die klassischen Pauschaltouristen ausgelegt. Will man individuell unterwegs sein, kommt man um Taxifahrten kaum drumrum. Und weil auf dem Weg zwischen Assuan und Luxor einiges Spannendes wartet, entscheiden wir uns für die bequeme Variante mit einem privaten Fahrer.

Die Straßenszenen, die man bei der Fahrt durch die kleinen Orte entlang des Nils beobachten kann, sind umwerfend. Zu gerne wären wir ein paar Tage in einem Städtchen geblieben, dessen einzige Attraktion das ägyptische Alltagsleben ist. Aber wir lesen von stetem Polizeischutz, sobald man das Hotel verlässt, und entscheiden uns dagegen. So bieten sich uns die Straßenszenen eher als Kino hinter verschlossenen Scheiben. Toll ist es trotzdem.

Unser erstes Etappenziel ist Kom Ombo. Die Tempelanlage liegt direkt am Nil, was wahrscheinlich der Grund ist, dass sie zum Programm der Nilkreuzfahrten gehört. Die sind anscheinend noch unterwegs, denn wir haben den Tempel für uns. Den haben erst die Ptolemäer – also Griechen – erbaut, die Römer haben später weitergewerkelt, alles im besten ägyptischen Stil. Kulturelle Aneignung, würde man heute sagen 🙂 Vielleicht sind wir schon tempelverwöhnt, aber so richtig mag uns Kom Ombo nicht in seinen Bann ziehen. Bis wir das kleine Museum am Fuße des Tempelplateaus entdecken. Hier dreht sich alles um Krokodile, zu Mumien verpackt haben sie sich bis heute gut gehalten und faszinieren im Halbdunkel des Ausstellungsraums.

Unser nächster Stopp ist Edfu. Die Stadt selber ist wenig attraktiv, enge Straßen, heftiger Verkehr und Staub über Staub. Die Tempelanlage ist dann aber alle Mühen wert –  das riesige Portal, die Statuen des falkenköpfigen Gottes Horus, eine gigantische Säulenhalle im Dämmerlicht, verwinkelte Gänge, Schatten überall und am Ende eine heilige Barke – hier kommt dann doch ziemlich schnell ein echtes Indiana Jones-Feeling auf. Was verbirgt sich wohl hinter der nächsten Ecke? Hat es eine Bedeutung, dass gerade dieser Stein im Sonnenlicht aufscheint? Ist das mein Schatten oder der von Harrison Ford? Im warmen Abendsonnenlicht sind wir fast die letzten, die den Tempel verlassen.

Wir kommen erst im Dunkeln in Luxor an und geraten deswegen noch in eine Polizeikontrolle. Eigentlich will man uns zu unserem Hotel eskortieren, aber unser Fahrer kann sie nach einer halben Stunde überzeugen, dass er das alleine hinkriegt. Irgendwann liefert er uns im Hotel ab, in dem schon ein kühles Bier auf uns wartet. Uff, nur im Auto sitzen kann auch ganz schön anstrengend sein.

Es ist nur ein kurzer Stopp in Luxor, gereicht hat es aber zur Erfüllung eines kleinen Traums. Beim Abendspaziergang am Nil treffen wir auf eine Eselfamilie. Mini-Esel und Mama und sie wollen genau dasselbe wie ich: schmusen! Ach, Ägypten ist einfach toll!

Abhängen in Assuan

Die Pharaonen in Luxor haben uns geschafft. Radeln, Ballonfahren, uralte Treppen rauf und runter klettern – uns ist jetzt nach Entspannung. Also entscheiden wir uns für den Zug von Luxor nach Assuan, der durchaus bequem daherkommt. Zwar ist er etwa anderthalb Stunden verspätet, aber hey, wir kommen aus Deutschland, das sind wir gewöhnt. Dank netter Gesellschaft eines holländischen Mutter-Sohn-Gespanns und so viel zu gucken um uns herum, geht die Zeit schnell vorbei. Erstaunlich, was die Menschen hier so mit dem Zug transportieren, sich selber, große Mengen an Gepäck, aber auch 25 Schüsseln voll eingelegtem Käse, die dann auf dem gegenüberliegenden zuglosen Gleis auf dem Kopf weiter in die Stadt transportiert werden.

Als der Zug endlich kommt, finden wir uns in einem geräumigen, aber sehr staubigen Erste-Klasse-Wagen wieder. Der Wüstenstaub behindert auch die Sicht durch die schlierigen Fenster, aber es reist sich ganz nett in diesem Zug. Gut, wir haben auch nicht versucht, die Toiletten zu benutzen 🙂

Dreieinhalb Stunden dauert die Fahrt nach Assuan, das verschmerzbar überteuerte Taxi bringt uns bis zur Fährstation und wir hieven unser viel zu schweres Gepäck auf die kleine Fähre hinüber zur Nilinsel Elephantine. 

Die Insel besteht aus zwei nubischen Dörfern, einer Ausgrabungsstätte und einem leicht überdimensionierten Mövenpick-Hotel. Die nubische Bevölkerung stammt überwiegend aus dem Gebiet des heutigen Assuan-Stausees und alles wirkt, als hätten sie auf Elephantine die Bedürfnisse der Rucksackreisenden der 80er erfüllen wollen. Der Geist von Bob Marley wabert immer noch durch die Guesthouses und Restaurants, das Publikum ist mit ihm gealtert. Ein Ort, an dem es nichts anderes zu tun gibt als den Blick auf den Nil in bester Uferlage gerne auch mit einer Wasserpfeife zu genießen, durch die kleinen staubigen Dorfidyllen zu wandern und ansonsten nichts zu tun.

Hier raucht man aus der Jägermeisterflasche

In Assuan beginnen oder enden die Nilkreuzfahrten, ab hier unternehmen die meisten Touristen noch einen vielstündigen Ausflug nach Abu Simbel oder zumindest zum Assuan-Staudamm. Wir lassen das und konzentrieren uns aufs Erholen. Nach drei Tagen Inselleben dürstet es uns nach weniger Staub und einem komfortableren Zimmer, deswegen setzen wir über und mieten uns in der Stadt ein. Im gar nicht so unluxuriösen Basma Hotel wartet sogar ein Pool auf uns, den wir ganz für uns alleine haben. Wir schlendern über den Basar, biegen in die Seitenstraßen ab und haben das touristische Gewimmel der Stadt schnell hinter uns gelassen.

Eine der Attraktionen von Assuan ist das „Old Cataract Hotel“, eine koloniale Pracht, in der Agatha Christie 1937 fast ein Jahr lang residierte und „Tod auf dem Nil“ schrieb. Das Hotel kostet Eintritt, 11 Euro pro Nase werden fällig, die man allerdings in kulinarische Genüsse investieren kann. Wir lassen uns auf der Terrasse am Nil nieder und bestellen standesgemäß „High Tea“. Die Etagere mit kleinen Köstlichkeiten ist wirklich hervorragend, der Tee aus feinem Porzellan mundet und über dem Nil geht die Sonne unter.

Viel entspannter geht es nicht. Die kleine Pharaonenpause hat gut getan, aber jetzt sind wir wieder bereit für die historischen Wunder Ägyptens!

Schweben über Theben

Die Schätze von Luxor scheinen unendlich zu sein. Die Pracht der Tempel von Luxor, Karnak und Habu, die Gräber der Pharaonen und Noblen und es gäbe noch so viel mehr zu entdecken. Geht’s noch besser? Ja!

Um vier Uhr morgens quälen wir uns aus den Betten, frieren gähnend im Auto, das uns zu einem großen Feld am Rande der Wüste bringt. In der Kühle des frühen Morgens empfängt uns keine Einsamkeit. Wagen an Wagen reiht sich am Straßenrand, aus jedem blicken verschlafene Gesichter neugierig in die Dunkelheit. Auf einem großen Feld liegen riesige Stoffbahnen, umringt von Männern in roten Westen. Generatoren werden angeworfen und pumpen dröhnend Luft, hauchen den schlaffen Stoffbeuteln am Boden Leben ein, bis sie sich in den dämmrigen Himmel recken. Jetzt übernehmen feurige Gasbrenner die Pumparbeit und lassen prächtige Ballone in bunten Farben erglühen. 

 

Eine Gruppe gegenüber fängt an, ein seltsames Morgenballett aufzuführen, angefeuert von einem Kameramann. Den magischen Morgen kann man für 25 Dollar pro Nase dokumentieren lassen und sollte dabei möglichst frisch wirken. Eine müde Amerikanerin neben uns hat das Paket ebenfalls gebucht und folgt den Regieanweisungen. Eben noch herzhaft gegähnt, springt sie jetzt grinsend in die Luft und winkt Richtung Objektiv.

Die Gruppen um uns herum klettern eine nach der anderen in große Körbe, die unter den Ballonen angebracht sind. Alle drin, ein letzter Check, dann lassen die Helfer am Boden los und die bemannten Körbe werden hinaufgezogen in den dämmrigen Morgenhimmel. Jetzt sind auch wir dran und teilen uns ein Abteil mit dem amerikanischen Filmsternchen. Ganz sanft steigen wir höher und höher, treiben hinüber in Richtung des Tempels der Hatschepsut und auf das Tal der Könige zu. In der Ferne geht die Sonne über dem Nil auf und taucht den Sandstein in ein warmes Gelb. Was für ein grandioser Blick!

Der langsam blau werdende Himmel ist jetzt gesprenkelt mit Ballonen in allen Farben des Regenbogens. Majestätisch gleitet die bunte Flotte über die Wüstenlandschaft und ist fast schon eine Attraktion für sich.

Der Käptn steuert souverän, ein perfekter 360 Grad Schwenk, ein paar gar nicht so unlustige Späßle am frühen Morgen. Wir überqueren die Gräber der Noblen, bis ins Tal der Könige reicht der Wind nicht, aber dort liegt die Schönheit ja eh in der Tiefe verborgen. Fast fünfhundert Meter über der Erde schweben wir in der Stille des Morgens, ab und an unterbrochen vom Feuern des Brenners, das uns noch ein wenig höher treibt. Die Sonne ist aufgegangen, die Kühle des Morgens weicht und die ersten Ballone steuern das Startfeld an. Irgendwann schweben auch wir über genau der Stelle, von der wir vor einer Dreiviertelstunde abgehoben haben, und setzen sanft auf dem Boden auf. Schweben über dem alten Theben – was für ein Erlebnis!