Deutsche Spuren im Sand

Unser Namibia-Abenteuer beginnt im tiefen europäischen Winter, genau gesagt an Heiligabend. Nicht anders als daheim nutzen die Namibier die Feiertage für eine Auszeit. Und zudem sind auch noch Sommerferien. Folglich hat auch das kleine Café neben unserem Hotel, in dem es eigentlich Frühstück gibt, zu. Also machen wir uns auf und suchen eine Alternative. Und schon beim Gang durch die Straßen wird uns klar – die kurze deutsche Kolonialzeit wirkt nach. Bei uns um die Ecke kreuzt die „Feldstrasse“ die „Prinz-Hubertus-Strasse“ und bald gelangen wir zum großen Spar-Supermarkt, in dessen Café wir uns niederlassen. Serviert werden hier „Delicious Brötchens“, gerne auch als „Kornspitzbrötchen“ oder „Knusperstange“, belegt mit „Rohhack“, „Mettwurst“ oder „Leberkäse“. Um uns herum eine interessante Mischung aus entspannten Rentnern und kernigen Outdoorburschen, alle weiß, fast alle sprechen deutsch und scheinen sich zu kennen. Das sind keine Touristen, diese Menschen leben hier. Die Bedienungen hingegen sind alle schwarz.

Die Deutsche Kolonialzeit in Namibia währte gerade mal 30 Jahre, von 1884 bis 1915, drückte dem Land aber einen bis heute spürbaren Stempel auf. Der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts geht auf das Konto der Deutschen und hier richteten sie die ersten Konzentrationslager ein. General Lothar von Trotha reagierte auf die Aufstände der Herero und Nama gegen die deutsche Kolonialmacht mit dem festen Willen, die Völker auszurotten. Tod durch Verdursten und Internierung waren seine bevorzugten Mittel. Der deutsche Kaiser unterstützte das Vorgehen des Generals und am Ende waren 50.000 bis 70.000 Menschen der beiden Volksstämme tot. Erst 2015 erkannte der Bundestagspräsident die Verbrechen als Völkermord an.

Kapp’s Konzert und Ball-Saal mit Kegelbahn in Lüderitz

Aber auch unter den deutschen Zivilisten befanden sich einige Schurken. Zwei Namen stechen hier besonders heraus: Der Bremer Kaufmann Adolf Lüderitz, erster deutscher Landbesitzer in Südwestafrika, der seine afrikanischen Vertragspartner heftigst über den Tisch zog und dem Deutschen Reich überhaupt erst einen Grund gab, eine Schutzstaffel zu entsenden. Bis heute ist der Ort Lüderitz an der Atlantikküste nach ihm benannt. Und dann Adolph Woermann, Hamburger Reeder, der sich die Alleinrechte für Schifffahrten von Deutschland nach Südwestafrika sicherte, seine Monopolstellung schamlos ausnutzte und gleich noch die afrikanischen Länder mit Branntwein gefügig machte. Zwei prächtige Woermann-Häuser in Swakopmund und Lüderitz lassen nicht vermuten, wie umstritten ihr Namensgeber ist.

Altes Reklameschild für die Woermann Linie in Swakopmund, Woermann-Haus in Swakopmund, Haus der Woermann-Linie in Lüderitz

Heute leben etwa 20.000 Deutschnamibier im Land, Nachfahren der Kolonialisten oder nach den Kriegen Zugezogene. Die meisten von ihnen haben neben der namibischen auch noch die deutsche Staatsangehörigkeit, schicken ihre Kinder zur Ausbildung nach Deutschland und verfolgen sehr genau mit, was in der Heimat ihrer Vorfahren so passiert. Ihrer Identifikation als Namibier scheint das aber keinen Abbruch zu tun. Teilweise in der fünften Generation sprechen sie deutsch, dem die regionale Zugehörigkeit ihrer Ahnen noch deutlich anzuhören ist. Auf Hamakari, der Farm der Familie Diekmann, werden wir mit einem norddeutschen Akzent begrüßt, der auch aus Hamburg stammen konnte. Ausgewandert ist Georg Diekmann aus Diekmannshausen am Jadebusen allerdings bereits 1907 und seine Nachfahren sind alle in Namibia geboren.

In den kleinsten Orten finden sich deutsche Spuren. In Aus übernachten wir im „Bahnhof Hotel“, mitten in der Wüste steht ein Wegweiser nach „Helmeringhausen“ und so richtig skurril wird es in Swakopmund. Das Haus Hohenzollern, die Apotheke von Emil Kiewitt, das Alte Amtsgericht –  alles da, was zu einem deutschen Städtchen des beginnenden 20. Jahrhunderts gehört. Wenn da nicht die breiten staubigen Straßen und der donnernde Atlantik wären.

Von den paar Sendern, die unser Autoradio empfängt, wird
in etwa der Hälfte deutsch gesprochen. Und gesungen, deutscher Schlager scheint hier dankbare Abnehmer zu finden. Die „Aktuelle Zeitung“ erscheint seit 1916 und berichtet fast täglich über Neues aus Namibia, der Welt und vor allem Deutschland.

Die deutschen Spuren lassen sich auch auf den Friedhöfen nachverfolgen: Soldaten, Kolonialverwalter, jüdische Flüchtlinge und viele sehr jung verstorbene Kinder.

Wir haben ein paar Leute in Namibia gefragt, ob sie es nicht komisch fänden, diese fast schon deutsche Dominanz. Franz vom Bushman’s Wilderness Camp schaut uns fragend an, die Deutschen leben schon so lange hier, ist doch nett, dass sie ihre Geschichte kultivieren. Auch in der Kronenhof Lodge wird von Orten wie Swakopmund mit seinen historischen Gebäuden geschwärmt. Traumatische Spuren im Gedächtnis scheint für die Namibier eher die  Zeit der südafrikanischen Verwaltung bzw. Besatzung hinterlassen zu haben. Aber der Umgang mit dem kolonialen Erbe wird schon lange diskutiert in Namibia, die Umbenennung so manch einer Wilhelm- oder Bismarckstraße ist bereits vollzogen und Lüderitz hat bisher eher aus wirtschaftlichen Gründen seinen Namen behalten – weil die deutschen Touristen es halt so putzig finden.

Auch die Küche ist vertraut 🙂

Die Krönung unserer Reise zu den Spuren deutscher Siedler in Namibia ist Kolmannskuppe kurz vor Lüderitz. Der Diamantenrausch ließ hier ab 1908 mitten in der Wüste eine völlig skurrile deutsche Welt entstehen, mit Villen, die genau so auch in Hamburg oder Stuttgart stehen könnten, einer Bäckerei und Schlachterei, einem großen Festsaal und als Krönung einer Kegelbahn. In der Hochzeit galt Kolmannskuppe als reichste Stadt Afrikas, aber die Edelsteine waren endlich und ab 1930 leerte sich der Ort. Der Sand drang in die Häuser ein und ein dekoratives Geisterstädtchen entstand, in dem man stundenlang durch die Gebäude streifen, die verblassten Jugendstildekorationen bewundern und alte Badezimmer im Sand versinken sehen kann.

So interessant dieses Deutschland in der Wüste ist – wir bleiben zwiespältig. Am deutlichsten wird das für mich an der Christuskirche in Windhoek. Die Vereinigung der Ostpreußen in Namibia hat hier in den achtziger Jahren einen Gedenkstein verlegt – für die verlorenen deutschen Ostgebiete. So wichtig ich die Erinnerung an Flucht und Vertreibung finde, wie kommt man bitte schön auf die Idee, diese hier in Namibia zu zelebrieren?
Dann die großen Farmen – viele seit Generationen in deutscher Hand und ursprünglich für nen Appel und nen Ei erworben. Dagegen die lokalen Bauern, die ihr Vieh auf schmalen Streifen neben der Straße weiden lassen müssen, weil die Farmen über hunderte von Kilometern eingezäunt sind. Andererseits bieten die Farmen vielen Menschen Arbeit und ein Auskommen. Wir sind einfach zu kurz hier und viel zu wenig eingetaucht in Geschichte und Kultur, um uns hier eine wirklich fundierte Meinung bilden zu können.

Jedenfalls sind die Deutschen fester Bestandteil der multiethnischen Gesellschaft Namibias. Deutsch ist eine der vielen Nationalsprachen und irgendwie bringt uns die deutsche Vergangenheit – auch in all ihrer Grausamkeit – dem Land näher als das bei anderen afrikanischen Ländern der Fall gewesen wäre. So belassen wir es vorerst dabei, die Skurrilität der kleinen deutschen Inseln in Afrika zu genießen und zu hoffen, dass die Nachfahren der deutschen Einwanderer zur Bereicherung der namibischen Kultur beitragen.

 

2 Kommentare

  1. Liebe Julia, ich möchte mal danke sagen für die tollen Geschichten…als Worldtraveller natürlich besonders interessant…ich lese eifrig! LG, Thomas

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