Inseltraum in der Ostsee

Ich habe eine gewisse Abneigung gegen die beliebten Urlaubsorte der Deutschen. Gran Canaria, Djerba in Tunesien, die ein oder andere thailändische Insel  – ich hab mich da nicht wohlgefühlt. Große Hotel- oder gar Clubanlagen schrecken mich ab, im Urlaub will ich nicht überwiegend deutsch hören, an europäische Geschmäcker angepasstes Essen verzehren und das Land nur durch die Scheiben eines Tourbusses betrachten. Mit „Fun-Aktivitäten“ kann man mich jagen. Genug geschimpft, natürlich akzeptiere ich, dass das anderen Spaß macht. Und zum Glück sind die Geschmäcker verschieden.

Dass ich mich nach der Vorrede auf Deutschlands beliebteste Ferieninsel getraut habe, wundert mich jetzt eigentlich selber. Aber vielleicht hatte ich ja eine Ahnung –  denn Rügen ist absolut grandios! Also, liebe deutsche Mitbürgerinnen und Mitbürger – Ihr habt doch Geschmack 🙂

Vollkommen ahnungslos, wo man sich auf der großen Insel am besten stationiert, habe ich ein Apartment im Südosten gebucht. Der winzige Ort Wreechen liegt am gleichnamigen See und nicht weit vom Meer entfernt. Im „Wreecher Idyll“ ist der Name Programm – von meinem Balkon aus habe ich den schönsten und eben idyllischsten Blick, den ich mir vorstellen kann. Weite sattgrüne Landschaft, der schilfgesäumte See. Die sanfte Luft mit einer Spur Seetangaroma. Rehe, die abends vor meinem Balkon durch die Wiese springen. Und über allem: Stille.

Am Abend der erste Spaziergang, einfach los in den Wald hinein. Hasen hoppeln vor mir auf dem Weg, alte reetgedeckte Häuser ducken sich in die Landschaft, Mohn- und Kornblumen säumen die Felder. Und dann stehe ich an der Küste, blicke hinüber zur kleinen Insel Vilm und genieße das Licht kurz vor Sonnenuntergang. Muss ich noch mehr schwärmen?

Prora

Am nächsten Tag fahre ich Richtung Norden. Die Straßen sind schmal und gesäumt von Bäumen, deren Wipfel sich zu einem grünen Dach vereinen. Hier verläuft die „Deutsche Alleenstraße“ und die trägt ihren Namen auf Rügen vollkommen zurecht. Nach etwa einer halben Stunde erreiche ich Prora. Die Nazis wählten die schönste Bucht der Insel für den Bau des „Kraft durch Freude-Seebad Rügen“. 20.000 Menschen sollten hier ihre Nerven für Krieg und Vernichtung stählen, riesige KdF-Schiffe am Ufer anlegen. Zum Nazi-Urlaub-Einsatz kam der Koloss nie. Das DDR-Regime versuchte sich mit Urlaubern und Bausoldaten an dem gigantischen Bau. Der Bund verkaufte große Teile der Anlage, Spekulanten traten auf den Plan und jetzt entstehen hier Luxusapartments. Alles als Denkmal zu erhalten wäre wohl auch komisch gewesen, aber ein bisschen origineller hätte man schon vorgehen können. Die riesigen Ausmaße der Anlage lassen sich eigentlich nur aus der Luft richtig erfassen, zumal die Gebäude vom Strand aus meist hinter einem Waldstreifen verschwinden. Nicht nur deswegen ist die Ausstellung im Dokumentationszentrum Prora „MACHTUrlaub“ unbedingt sehenswert.

Nationalpark Jasmund

Jetzt aber mehr von der Schönheit Rügens. Der Nationalpark Jasmund im Nordosten beherbergt die berühmten Kalksteinfelsen und mit seinem Buchenwald auch ein Unesco-Welterbe. Am Parkplatz wirkt alles noch unspektakulär. Der Weg durch den Wald bis zum Besucherzentrum ist schön, aber nicht unbedingt einsam. Das Zentrum ist umlagert und verlangt 10 Euro Eintritt. Mir ist nicht ganz klar, wofür und so nehme ich den Weg rechts neben dem Zentrum in den Wald hinein. Schnell bin ich fast allein in dem ungewöhnlichen Wald. Die schlanken hohen Stämme lassen mehr Licht hinein als man erwarten würde und in der Ferne schimmert immer wieder das Blau des Meeres durch. Der Wald reicht direkt bis an die Klippe heran. Der Kreidefels ist weich und schützt die Bäume direkt am Rand nicht vor gelegentlichen Abstürzen. Nach etwa fünf Kilometern ist ein Abstieg zum Strand möglich. Eine Holztreppe führt hinunter zum Kieler Ufer und diesen Abstieg sollte man auf keinen Fall scheuen. Der Blick auf die Kreidefelsen ist jede Stufe hinab wie hinauf wert.

Genau den gleichen Weg zurück will ich nicht gehen, ich habe guten Empfang, also lasse ich mich von Google über kleine Pfade lenken. Irgendwann wird das Signal immer schlechter, Julia allein im großen Wald, kurz wird’s mir etwas mulmig, aber dann taucht ein Forstweg auf. Sehr glücklich und zufrieden erreiche ich am Nachmittag den Parkplatz und bin ab sofort Rügen-Fan.

Lauterbach und Goor

Nur vier Nächte habe ich für die Insel eingeplant, denn es ist Pfingsten und ich muss ja nicht unbedingt dann fahren wenn alle fahren. Samstag ist mein letzter Tag und heute möchte ich in der Nähe bleiben. Also marschiere ich vorbei an reizenden Reetdachhäusern zum Meer und immer an der Küste entlang bis zum kleinen Hafen Lauterbach. Eine entspannte Atmosphäre, man bekommt Räucherfisch vom Kutter und DDR-Softeis, kleine Boote schaukeln auf dem Meer und es sitzt sich gut in der Sonne.

Weiter am Ufer entlang kommt man nach Goor, einem Waldgebiet mit  neoklassizistischem Badehaus. Das Restaurant mit eleganter Terrasse öffnet gerade, also ergattere ich einen Strandkorb, bestelle Kaffee und fühle mich ein wenig wie ein mondäner Badegast im 19. Jahrhundert. Ich habe es nicht nach Binz geschafft, um mir die Bäderarchitektur, für die Rügen auch berühmt ist, anzuschauen. Aber das Badehaus Goor scheint mir für’s Erste ein ganz guter Ersatz zu sein.

Und das war’s schon mit Rügen. Unbedingt muss ich hier nochmal her. Sicherlich sollte man die Hochsaison umgehen, aber selbst an diesem Pfingstwochenende fand ich es nicht zu überlaufen. Rügen ist dann doch so weitläufig und mit so vielen schönen Orten gesegnet, dass weder die Nazizeit, der Sozialismus oder das 9-Euro-Ticket der Schönheit der Insel wirklich schaden konnten.

Stralsund

Direkt gegenüber von Rügen liegt Stralsund, bis zu meinem nächsten Ziel sind es nur etwa zwei Stunden, also nehme ich die historische Hansestadt natürlich auch noch mit. Aber ganz ehrlich: da habe ich schon atmosphärischere Orte besucht. Natürlich sind die Backsteinarchitektur und die Lage klasse, doch irgendwas fehlt der Stadt. Benennen kann ich es nicht, Stralsund ist Weltkulturerbe, es muss an mir liegen, dass der Funke nicht überspringt. Ist halt auch schwer, wenn man sich ständig mit einer Inselschönheit in Sichtweite messen muss. Ein letzter Blick hinüber an die Küste von Rügen, dann steige ich ins Auto und wechsel mal das Land.

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