Im wilden Fergana-Tal

Ein bisschen Abenteuer muss ja sein. Das Reisen auf der klassischen Seidenstraßenroute ist angenehm, die Abfolge der Orte vorgezeichnet und die touristische Infrastruktur gut. Wir haben noch eine knappe Woche Zeit und es gibt zwei Optionen, um von der Route abzuweichen: entweder in den Süden nach Termez an die afghanische Grenze. Das wäre für Eric natürlich toll, ein kurzer Blick hinüber ins Vaterland. Oder in den Osten ins Fergana-Tal. Termez ist der heißeste Ort Usbekistans und der Transport beschwerlich. Ins Fergana-Tal gibt es einen Direktzug von Samarkand aus, da fällt die Entscheidung dann leicht. Also besteigen wir am Morgen einen Wagen, der mich ziemlich an unsere Klassenreise in die Sowjetunion im Sommer 1983 erinnert. Ein Großraum-Schlafwagen, in offenen Abteilen jeweils zwei Liegen unten und oben. Uns gehören zwei untere, aber eine etwas mürrisch blickende Usbekin ignoriert uns, sie hat oben geschlafen und will jetzt unten frühstücken. Wir sitzen etwas unschlüssig auf unserer einen Liege, da entschließt sie sich, ihre Morgentoilette zu erledigen und verschwindet um die Ecke. Und gleichzeitig biegt der Schaffner um selbige, wir fragen ihn per Google Translate ganz unschuldig, wo Nummer 33 und 35 sei, da schreitet er zur Tat und bereitet uns zwei Schlaflager mit blütenweißer Bettwäsche. Als die Matrone frisch gewaschen zurück kommt, liege ich schon im Bettchen und sie muss nach oben klettern. Der Wagen ist insgesamt nicht in allerbestem Zustand, was uns nicht unbedingt stören würde. Schade ist nur, dass die Fenster so verdreckt sind, dass wir die dahinterliegende Landschaft nur erahnen können. Aber es wäre ja auch zu perfekt, gemütlich liegend dahinzuschaukeln und vom Bett aus die grandiose Bergwelt betrachten zu können. Neun Stunden dauert die Fahrt, das reicht für ein ganzes Buch und kurze Schlummer. Als wir um halb fünf in Kokand ankommen, fühlen wir uns fast ein bisschen erholt. 

Unser Hotel ist ziemlich neu und entspricht wohl dem, was sich der moderne Usbeke unter einer gehobenen Unterkunft vorstellt. Viel glänzender Marmorfußboden, Tapeten mit europäischen Wahrzeichen, glanzfurnierte Möbel, aber so richtig wohl fühle ich mich nicht. Der Restauranttipp des Rezeptionisten scheitert daran, dass wir kein Wort auf der Karte verstehen und uns Goggle Translate wieder mal im Stich lässt. Also gehen wir weiter und hoffen auf ein Restaurant in der Stadtmitte. Auf dem Weg dorthin fühlen wir uns ein wenig in den Wilden Westen versetzt – Autos jagen mit quietschenden Reifen durch die Straßen, Gehupe, ein Wagen überholt einen anderen und bremst diesen aus, bis beide zum Stillstand kommen. Die Fahrer springen raus, schreien sich an – hui, hier weht ein anderer Wind als im beschaulichen Samarkand. Das wilde Fergana-Tal ist für seine eigensinnigen Einwohner bekannt, wahrscheinlich alles Nachfahren von verwegenen Steppenreitern. Die Innenstadt hat das ein oder andere hübsche Haus zu bieten, aber so richtig einladend ist das alles nicht und zu essen gibt es auch kaum was. Am Ende werden es Hamburger. Oh je, was wollen wir hier?

Der nächste Tag wird dann schon etwas netter,
Kokand hat einen Khanspalast, der bestimmt einmal ganz grandios sein wird, wenn die Restaurierungsarbeiten abgeschlossen sind, aber wir sind gerade dankbar für alles. Dahinter finden wir ein Restaurant mit englischer Speisekarte und das mittelmäßige Geschnetzelte mundet uns plötzlich ganz hervorragend, so erleichtert sind wir, dass wir die nächsten Tage nicht von Fast Food leben müssen. Wir schlendern weiter und kommen zu einem kleinen Mausoleum auf einem Friedhof, das ein Treffpunkt des Viertels zu sein scheint. Im Eingangsbereich haben sich zwei Frauen niedergelassen, die Massagen und Behandlungen mit einem Kräuterstempel anbieten. Auf zwei Bänken sitzen Männer, die nicht nur Wasser verkaufen, sondern auch Segenssprüche verteilen. Wir nehmen unter einem schattigen Baum Platz und beobachten die Menschen. Eine Frau mit ihren Kindern kommt auf uns zu und möchte ein Photo mit uns, kriegt sie natürlich gerne. Sehr schön hier.

Und dann kippt die Stimmung vollends. So sehr zum positiven, dass wir am Ende mit großem Bedauern Abschied von Kokand nehmen werden.

Zunächst ist da unser Fahrer. Den hat uns das zunehmend sympathischere, leicht verpeilte Hotel organisiert. Er bringt uns zu den Attraktionen des Fergana-Tals, den Kunsthandwerkstätten. Er spricht nur russisch, wir können nichts außer da, njet, spasiba und pajalsta. Aber den Rest kriegt Google hin und wir haben viel Spaß, auch wenn das Gesagte nicht immer in sinnvolle Sätze übersetzt wird. Zuerst besichtigen wir die Seidenfabrik Yodgorlik. Unglaublich, wie traditionell hier noch produziert wird. Wir sehen die großen Kessel, in denen die Kokons gekocht werden. Die Seidenraupen, die eher wie fette Käfer aussehen, werden dabei gemeuchelt und der Konkon etwas entwirrt. Dann werde die superfeinen Fäden gesponnen, gefärbt, verwoben oder zu feinen Seidenteppichen verknüpft. Eine sehr freundliche Atmosphäre liegt über den Produktionshäusern, die Arbeiterinnen grüßen sehr freundlich und scheinen durchaus Spaß bei ihrer filigranen Arbeit zu haben.

 

Das mit der Keramikwerkstatt wird schwierig, bedeutet uns unser Fahrer, überall wird gebaut, und die Straße des größten Meisters ist gesperrt. Wir sind etwas enttäuscht, haben aber die Seidenfabrik und die gute Stimmung im Auto genossen, dann ist es nicht so schlimm. Da macht der Fahrer doch noch einen Anlauf, fährt auf eine Straßensperre zu und fängt an, mit dem Polizisten zu diskutieren. Und diskutiert. Und zeigt auf uns. Und diskutiert weiter. Irgendwann öffnet der Polizist genervt die Sperre und lässt uns passieren. Nur uns, nicht die zehn anderen Autos, die ebenfalls den Durchbruch versucht haben. Ha, gewonnen! Wir halten bei der Werkstatt von Meister Rustam Usmanov und betreten den Innenhof seines Hauses. Bereits die Herstellung einer Schale auf einer Töpferscheibe ist faszinierend, die größte Kunst besteht aber in der filigranen Bemalung. In einem weiteren Innenhof sitzen ein Mann und eine Frau über eine lange Reihe von Kacheln gebeugt. Ruhig und konzentriert malen sie die Muster nach, die zuvor mittels einer Schablone markiert wurden. Der Mann erklärt uns den Prozess in sehr gutem Englisch, sie produzieren gerade ein Küchenfries für ein Haus in Taschkent, mit feinen Pinseln, ruhiger Hand und gelassener Stimmung arbeiten sie mehrere Monate an diesem Kunstwerk. Alle Menschen, die uns in dieser Meisterwerkstatt begegnen, wirken sehr distinguiert und passen zu den wunderschönen Mustern, die sie produzieren. Wir sind begeistert von Atmosphäre und prächtiger Keramik. Mehrere Schälchen und Schalen wandern zum Abschluss in unser Gepäck und wir bedanken uns nochmals bei unserem Fahrer, dass er uns den Weg zum Meister freigekämpft hat.

 

   

Am späten Nachmittag kehren wir zurück nach Kokand und werden im Hotel herzlich begrüßt. Wir sollen doch bitte zum Abendessen im Hotel bleiben, der Chef habe Essen bestellt und wolle alle Gäste zum gemeinsamen Mahl einladen. Ok, das machen wir gerne. Später sitzen wir mit einer Gruppe Chinesen im Speisesaal, die Konversation kommt nicht so richtig in Gang, obwohl sie alle bis auf ein älteres Paar gut Englisch sprechen. Unsere Fragen werden knapp beantwortet und dann wieder ins Handy gestarrt. Da kommt der ältere Herr am Tisch auf uns zu und hält uns sein Handy hin. Er liebe Deutschland, er sei schon vier mal dort gewesen, das erste Mal Ende der 90er Jahre dienstlich, jetzt sei er pensioniert. Dann zeigt er uns Bilder von mehr Orten in Deutschland als wir je bereist haben und stellt uns pantomimisch seine Erlebnisse beim Biertrinken dar. Was er beruflich denn gemacht habe, fragen wir ihn per Google, und er antwortet, er sei Richter gewesen und habe sich Gefängnisse in Deutschland angeschaut. Die seien wie Hotels, fand er. So ein freundlicher, lustiger und wissbegieriger Herr, jetzt hoffen wir mal, seine Erkenntnisse haben in seinem Berufsumfeld in China für positive Entwicklungen gesorgt. Das Hotelpersonal setzt sich mit an den Tisch, die Stimmung ist gut, Fotos werden gemacht und Kontakte über Whatsapp vereinbart. Ja wer hätte das gedacht, dass es hier noch richtig lustig wird?

Am Morgen holt uns unser Fahrer wieder ab. Das Hotelpersonal ist gekommen, um uns zu verabschieden. Wir bekommen kleine Geschenke und sie winken uns nach als wir uns auf den Weg nach Taschkent machen. Diesmal sehen wir die Berge und türkisgrünen Seen in ihrer ganzen Pracht. Als wir uns der Großstadt nähern, werden wir fast ein wenig wehmütig. Ausgelassen hupend verabschiedet sich unser Fahrer von uns. War doch eine ganz besondere Erfahrung, dieses Fergana-Tal. 

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