Im Wunderland

Taschkent liegt im Osten Usbekistans, die drei Topziele Samarkand, Buchara und Xiva eher Richtung Westen, und die Distanzen sind groß. Um einen Inlandsflug würden wir nicht drumrumkommen und so haben wir uns schon in Deutschland entschieden, von Taschkent ins am weitesten entfernte Xiva zu fliegen, weit oben und fast an der Grenze zu Turkmenistan. Die Abendverbindung gibt uns noch fast einen ganzen Tag in Taschkent und nach einem ziemlich holprigen Flug landen wir um halb neun im dunklen Urgench, der Hauptstadt der Provinz Choresmien. Unsere Pension hat die Abholung organisiert und das funktioniert wunderbar, wie bisher alles in Usbekistan. 35 km fahren wir über holprige Straßen und dann tauchen sie auf, die antiken Stadtmauern von Xiva. Wie eine große Sandburg und als das Auto durch das Nordtor schaukelt, hören auch die befestigten Straßen auf. In unserer Pension ist alles ganz neu und liebevoll traditionell dekoriert. Eigentlich wollten wir noch einen kurzen Abendspaziergang machen, aber wir sind ziemlich erledigt und schlafen bald ein. Die Betten sind hart, die Kissen prallvoll gestopft, da hätten sie uns auch bezogene Holzblöcke geben können, aber das scheint recht normal zu sein hier. Ich bin offensichtlich so müde, dass ich trotzdem gut und lange schlafe, Eric wacht gerädert auf. Wir fragen den netten Wirt, ob er vielleicht ein etwas flacheres Kissen hätte, und am Abend scheinen sie dann nicht mehr ganz so aufgeplustert. Wegen der Flaumreste auf dem Boden vermuten wir, dass sie einfach ein paar Federn herausgenommen haben. Nach einem leckeren Frühstück machen wir uns dann auf, Xiva zu erkunden. Eine schöne Oasenstadt und wichtiges Handelszentrum der Seidenstraße, sehr gut erhalten und sehr sehenswert, sagt der Reiseführer. Eine absolute Untertreibung, stellen wir fest, als wir um die Ecke unseres Wohnviertels biegen. Wo man hinschaut prachtvolle Moscheen und Medresen aus hellem Backstein, dekoriert mit blaugrünen Kacheln und mit türkisfarbenen Kuppeln, alles so gut erhalten und restauriert, würde Aladin auf seinem Teppich vorbei fliegen, es würde uns nicht wundern. 

Die Minarette habe hier nicht die schlanke Form, die wir aus der Türkei oder sogar aus Deutschland kennen. Es sind massive bauchige Türme, gut fünfzig Meter hoch. Der Kalta Minor ist komplett von türkisfarbenen Kacheln bedeckt und endet recht abrupt. 70 Meter hoch sollte er werden, wegen des kriegsbedingten Todes seines Bauherrn Mitte des neunzehnten Jahrhunderts reichte es nur für knapp 30, aber das tut seiner Schönheit keinen Abbruch. Beim eleganteren Islam Hodscha dominieren die hellen Backsteine, türkisfarbene Musterstreifen dekorieren ihn dezent. Die Mehrzahl der religiösen Gebäude sind nicht etwa Moscheen, sondern Medresen, die Universitäten der damaligen Zeit. Durch ein riesiges rechteckiges Portal, den Pischtak, betritt man einen großen Innenhof. Rundum befinden sich meist zweistöckig die Studentenzellen, die Eingänge schön dekoriert. Souvenirhändler haben sich in den kleinen Lernräumen niedergelassen, manche Medresen wurden auch zu stilvollen Hotels umgestaltet. Den Helden vergangener Jahrhunderte sind prunkvolle Mausoleen gewidmet. Das beeindruckendste und stimmungsvollste ist für uns das Pachlawan-Machmud-Mausoleum, opulent mit blauen Kacheln ausgekleidet und als wir uns auf eine der Bänke setzen, kommt plötzlich ein Imam in den Raum, nimmt auf einem Stuhl Platz und beginnt zu singen. Ein magischer Moment.

Es ist heiß in Chiva, das Thermometer kratzt an den 40 Grad, aber das lässt alle in einen gemütlichen Schlenderschritt verfallen und die wandernde Sonne beschert uns alle paar Stunden ein ganz anderes Licht auf diese unglaubliche Stadt. In fast jedem der alten Gebäude ist ein kleines Museum untergebracht, mal geht es um usbekische Musik, mal um Keramik und besonders interessant ist das über die Mennoniten. Stricksocken mit nordisch anmutenden Mustern werden an den Souvenirständen verkauft und es wird vermutet, dass es sich hierbei um ein Erbe dieser deutschen und schweizerischen Auswanderer handelt. 50 Jahre lebten sie bis 1935 in Chiwa und haben neben den Sockenmustern manch einen prächtigen Holzboden in den alten Häusern hinterlassen. Am Abend finden wir ein Restaurant, in dass wir auch an den folgenden Abenden zurückkehren, denn es ist perfekt. Auf einem Tapchan, einer Art Holzbett mit weichen Matten, Kissen und einem niedrigen Tisch, lässt es sich stilecht orientalisch fläzen, hinter und vor uns jeweils eine riesige Medrese, in der Ferne einer der hohen Türme. Die untergehende Sonne lässt den sandfarbenen Stein golden leuchten, das Türkis der Kacheln funkelt, Schwalbenschwärme drehen ihre Runden über uns und werden später von kleinen Fledermäusen abgelöst. Was für ein phantastischer Ort. Was für eine Erinnerung. Weiß Du noch damals in Chiwa, in diesem wunderbaren Restaurant?

Trotz aller Magie möchten wir auch die Umgebung von Chiwa kennenlernen und planen eine Tour zu den Wüstenschlössern von Karakalpakstan. Das klingt doch nach Orient und Karawane! Wir aber wählen ein schnödes Auto, das wir uns mit zwei freundlichen Italienern aus unserer Pension teilen. Fabiano ist perfekt vorbereitet, er spricht sogar ein paar Worte Usbekisch und hat die interessantesten Festungen ausgewählt. Und dann beginnt eine heiße, staubige, aber faszinierende Reise zu den 2000 Jahre alten befestigen Siedlungen, die wir fast für uns alleine haben. Wir erklimmen die Hügel in der flirrenden Hitze, schauen hinunter in die karge Wüste und stellen uns vor, wie die Karawanen hier vor hunderten von Jahren Station machten und ihre Waren verkauften. Die Festung von Ayaz Kala ist hierfür ganz besonders geeignet, erst ein Marsch durch die Wüste, dann ein steiler Anstieg, ein atemberaubender Blick und auf dem Rückweg hat sich doch tatsächlich ein Kamel vor dem Palast in Position gebracht. Es gehört zum Camp nebenan, in dem wir in einer Jurte eiskalte Cola bekommen und draußen im heißen Wüstenwind schaukeln können.

 

 

Nach fünf Schlössern sind wir erledigt – Sonne und Staub, holprige Straßen und viel Abenteuer. Es war ein interessanter Tag in guter Gesellschaft, aber jetzt wollen wir nur noch in unser traumhaftes Restaurant, die Schwalben im Sonnenuntergang beobachten und den Abend mit einem kühlen Bier ausklingen lassen. 

        

P.S. Den schönen Abend hat uns noch nicht mal eine feierfreudige Seniorenreisegruppe vermiesen können, die zu „Besame mucho“ auf der Balalaika animiert von ihrer Reiseleisterin das Tanzbein schwingen mussten. Ach, diese Alten, denken wir, und dann rechnen wir kurz nach, wie viele Jahre uns von ihnen trennen…..

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