Back to the roots

Ich habe lange überlegt. Hatte täglich ein neues Ziel im Visier, von Sao Tomé und Principe über die Kapverden, die Azoren bis nach Portugal. Doch noch mal zurück nach Asien oder gar Australien? Malta war noch eine Idee oder Albanien, aber letztendlich ist es dann Rumänien geworden. Und das ist eigentlich auch sehr logisch, denn ich bin in Rumänien entstanden.

Meine Eltern wählten für ihre Hochzeitsreise Mamaia an der Schwarzmeerküste inklusive Abstecher per Schiff in die Türkei. Es gibt Bilder meiner Mutter aus dem Sommer 1964 im Basar von Istanbul, das muss damals die Krönung der Exotik gewesen sein. Ihr Schiff übers Schwarze Meer hieß Transylvanien und genau dort sei ich gezeugt worden. Deswegen hätte ich auch so spitze Eckzähne, hieß es. Also ist Rumänien doch ein wunderbares Ziel für das Ende meiner großen Reise.

Aber es gibt auch noch einen anderen Grund für dieses Reiseziel. Ich will mich meinen Vorurteilen stellen. Und ich gebe es ganz offen zu: ich habe heftige Vorurteile gegenüber Rumänen. Mein Rumänienbild ist geprägt von Bettlern in der Königstraße mit vorgetäuschten Behinderungen und deren Schlaflagern im Schlossgarten. Ein wenig auch von den Rumäniendeutschen, die ich früher gerne mal unter revisionistischen Generalverdacht stellte. Also, auf nach Rumänien!

Ich wähle für den Anfang die „Light-Variante“ und fliege nach Hermannstadt. Oder Sibiu. Es scheint kein politisches Geschmäckle zu haben, für welchen Namen man sich entscheidet, die Stadt führt beide Bezeichnungen stolz. Nach zwei Stunden Direktflug von Stuttgart lande ich im Zentrum Siebenbürgens oder eben auch Transylvaniens. Die freundliche Frau an der Flughafen-Bushaltestelle schenkt mir das Kleingeld für den Bus, nach kurzer Zeit steige ich am Rande der Altstadt aus und tauche bei strahlendem Sonnenschein in die Fußgängerzone ein. Es ist Sonntag, die Geschäfte haben trotzdem fast alle geöffnet, die Straßencafés sind gut besucht und nach kurzer Zeit finde ich das Haus, in dem sich meine Ferienwohnung befinden muss. Die Bäckerin im Erdgeschoss spricht weder deutsch noch englisch, bedeutet mir aber irgendwie, ich möge eine halbe Stunde warten. Also setze ich mich ins nächste Straßencafé und bestelle wunderbare kleine Pfannkuchenröllchen mit Quark gefüllt, die in einer Milch-Honig-Soße baden. Ziemlich guter Start. Später dann treffe ich auf meine Vermieterin, sie spricht gut deutsch und führt mich in einem Hinterhof eine uralte Holztreppe hinauf zu einer verglasten Holzveranda – das gehört jetzt alles mir für die nächsten vier Tage. „Siebenbürgische Klassik“ heißt das Apartment und wird dem Namen mehr als gerecht. Stilvoll renoviert, blitzsauber, mittendrin und doch durch die Lage im Hinterhof ganz ungewöhnlich still, eine Wohltat nach kreischenden Kindern und Nachbarn mit nervigen PS-Vorlieben in Stuttgart.

Hermannstadt ist ein kleines Juwel. Aus der Zeit gefallen ist ja so eine Formulierung, die gerade recht häufig verwendet wird. Hier passt es wirklich. Fast die gesamte historische Bausubstanz ist erhalten und seit Sibiu 2009 europäische Kulturhauptstadt war, ist vieles wunderbar restauriert. Aber auch die leicht verfallenen Hinterhöfe und Nebenstraßen sind eine Schau. Anders als in Krakau, wo der „Shabby Chique“ kultiviert wurde, wirkt hier alles sehr authentisch. Ein historisches Gesamtkunstwerk. Und jede Ecke ist anders. Der grandiose Große Ring, der riesige Platz im Herzen der Stadt, erinnert an Wien, die Wohnhäuser mit ihren pittoresken Innenhöfen an die Pfalz oder Lothringen und das bunte Dach der riesigen evangelischen Stadtkirche an Burgund. Ein paar Meter weiter fühlt man sich in die Zeit der mittelalterlichen Zünfte zurückversetzt. Die Museen sind voll von bestens erhaltenen Exponaten ab dem 14. Jahrhundert, die es anscheinend so reichlich gibt, dass sie gerade mal durch eine einsame Kordel von den neugierigen Besuchern abgetrennt werden. Wen es jucken sollte, mal über das Gemälde eines alten Meisters aus dem 15. Jahrhundert zu streichen, this is the place. Hab ich natürlich nicht gemacht…

   

Die Altstadt innerhalb der drei Befestigungsringe ist fast komplett erhalten und wirkt wie ein riesiges lebendiges Museum, das aber vor allem von jungen Leuten bevölkert wird. „Jung seit 1191“ steht auf der Broschüre des Touristikbüros und der Spruch passt wirklich. Auch hier scheint es eine ganze Menge ausländischer Studenten zu geben, Deutsche, Balten, Amerikaner sehe und höre ich. Die Lebensart ist schon ein wenig mediterran, halb 10 abends ist eine gute Zeit zum essen gehen, Kinder toben in den Wasserspielen des „Großen Ring“, man trifft sich, flaniert. Der Tourismus hat auch Hermannstadt erreicht, aber in einer viel dezenteren Art als in Krakau. Deutsche mit rumänischen Wurzeln besuchen die alte Heimat, für Amerikaner erfüllt sich hier der Traum von mittelalterlicher Kopfsteinromantik, Rucksackreisende freuen sich an den günstigen Preisen und sogar die ersten Chinesen sind schon da. Die Stadt setzt auf Kultur, Jazz- und Theaterfestivals, in der reizenden kleinen Philharmonie, zum Teil untergebracht im dicksten aller Stadttürme, kann ich für 2,20 Euro in der ersten Reihe sitzen und einem beschwingten Geigenkonzert lauschen.

Hermannstadt ist eine Gründung deutscher Siedler aus dem 12. Jahrhundert mit großer Handwerkertradition, die man im Museum bewundern kann. Die deutschstämmigen Einwohner haben die Stadt 1989 zum großen Teil verlassen. Von ursprünglich mehreren 100.000 Deutschstämmigen in Siebenbürgen vor dem 2. Weltkrieg (die Zahlen variieren) sind heute noch gerade mal 13.000 übrig. Aber dazu demnächst einmal.

Man hat die Tradition der Wandergesellen wiederbelebt und so ist Hermannstadt heute auch ein Ziel von Handwerksburschen auf der Walz. Die Weltkriege hinterließen keine Spuren, der Kommunismus trug insofern zum Erhalt bei als das nichts abgerissen und nichts kaputtsaniert wurde und so ist die historische Bausubstanz noch fast komplett erhalten. Und was noch nicht renoviert ist, scheint zumindest schon auf der Warteliste zu stehen. Denn die Stadt ist für rumänische Verhältnisse wohlhabend, eine Reihe großer Firmen aus dem Westen hat sich angesiedelt, die Arbeitslosigkeit ist gering und auf dem Weg vom Flughafen in die Stadt leuchten mir Kaufland, Lidl und Hornbach entgegen.

Trotzdem gibt es auch noch die eher verfallenen Ecken in Sibiu, die deswegen aber nicht weniger reizvoll sind als der prunkvolle Rest. In der Unterstadt schlummern noch einige architektonische Highlights und der Markt von Sibiu gibt mir einen ersten Vorgeschmack auf das ländliche Rumänien – zu gerne würde ich die Menschen photographieren, was für Charaktere! Hier werden die Erdbeeren kiloweise verkauft (für 2 Euro…), eine alte Frau präsentiert Becher mit Walderdbeeren, Holunderblüten und Kamille sind im Angebot.

Als Rumänien Mitglied der Europäischen Union wurde, habe ich den Kopf geschüttelt. Wie kann man nur, dieses rückständige Land, was haben wir uns da ans Bein gebunden. Auch das eines meiner vielen Vorurteile. Jetzt sitze ich im Straßencafé in Hermannstadt und freue mich, diese wunderbare Stadt so unproblematisch besuchen zu können. Hier ist es, das „alte Europa“ in all seiner Pracht, so traditionell und doch so modern. Morgen werde ich weiter ziehen. Ich habe für zwei Wochen ein Auto gemietet und bin so gespannt auf das ländliche Rumänien. Das wird vollkommen anders werden als hier in der Stadt, davon bin ich überzeugt. Aber ich ahne bereits: meine Vorurteile werden diese zwei Wochen wahrscheinlich nicht überleben.

 

3 Kommentare

  1. Hi Julia! In letzter Zeit liest man ja immer mehr Reiseberichte aus Rumänien. Das scheint ein echter Trend zu werden! Man sieht das ja auch zum Beispiel auch an der Steigerung der Direktflüge, die nach Rumänien angeboten werden. Hier mal die ganze Übersicht https://www.direktflug.de/nach-rumaenien/ Ich glaube, das wird die nächsten Jahr noch weiter ansteigen. Rumänien hat ja auch landschaftlich echt tolle Ecken zu bieten!
    Viele Grüße von Vera

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