Phase 2

Tja, Ihr Lieben, lange hab ich nichts von mir hören lassen. Schwierig war es immer mal wieder, aber ich hatte ja schon geahnt, dass es nicht so einfach bleiben wird, wie es am Anfang noch schien. Ich habe realisiert, dass das hier doch etwas Längeres wird. Der Alltag drängt sich massiv in den Vordergrund. Es gibt sie wieder, die Abende, an denen ich tumb aufs Sofa sinke und gerade noch aufnahmefähig für „Shopping Queen“ bin. Die Power, die ich mir für meine wöchentlichen freien Tage wünsche, muss am Freitag erst mal mühsam gesammelt werden und mein Mittagskino wechselte drei Wochen lang nicht das Programm 🙂 Meine Stimmung schwankt, manchmal ganz erheblich, und ich merke, dass ich schon wieder anfange, mich über Kleinigkeiten aufzuregen. Die Wohnungssuche war nicht ganz einfach und ich will endlich wieder an meine seit zwei Jahren eingelagerten Sachen ran.

Und dann sind da Tage wie heute. Ich sitze auf dem Dach der Stadtbibliothek, die Herbstsonne scheint warm und – ich habe gerade einen Mietvertrag unterschrieben! Noch ein Monat Untermiete bei Eric und dann zieh ich in mein kleines Reich über den Dächern des Stuttgarter Ostens, Park und Mineralbad direkt vor der Nase und der vierte Stock ohne Aufzug wird meiner eingerosteten Fitness gut tun. Der rücke ich tatsächlich schon jetzt zu Leibe, denn auch das war eine Auswirkung der Reise: ich habe viel mitgenommen und auch ein wenig zurück gelassen. Mitgenommen aus fast jedem bereisten Land ein Kilo Körpergewicht und der Welt dafür einen Zentimeter Körpergröße gelassen. Ein Geben und Nehmen halt, aber ganz schlecht für den Body Mass Index. Und weil’s dazu auch noch im Rücken und den Knien zwickt, kehre ich reumütig zurück zu Kieser, die mich vor ein paar Jahren schon mal fit gemacht haben, und siehe da, der Trainer begrüßt mich mit Namen, er ist mit mir gealtert, aber wir beschließen, dass es mein Photo von damals für den Mitgliedsausweis noch tut 🙂
Reisen bedeutet eben auch, dass man die positive Routine aufgibt. Alle Vorsätze, regelmäßig laufen zu gehen, hat der Monsun mit sich getragen und die paar Yoga-Einlagen auf Bali reichen halt auch nicht für zwei Jahre.

Jetzt wo der Herbst kommt, wir schon ein paar Mal die Heizung angeschmissen haben und ekliger Regen fällt, der Hamburg alle Ehre machen würde, wird es verdammt gemütlich, so auf dem kuschligen Sofa mit Strickzeug oder einem guten Buch. Das selbstgekochte Essen schmeckt auf Dauer dann doch besser als australische Pizza oder rumänisches Fettgebackenes. Zuhause sein hat eindeutig auch seine Vorteile.

Das wichtigste ist für mich, mich nicht komplett vom Alltag überrollen zu lassen. Die reduzierte Arbeitszeit ist da eine große Hilfe. Aber ich muss es mir immer wieder bewusst machen, kleine Fluchten, wie hierher aufs Dach der Bibliothek, einplanen und ganz viel denken an die wunderbare Zeit, die ich erlebt habe. Klappt eigentlich meistens ganz gut.

Nun bin ich also wieder endgültig zurück in Deutschland, kein Besuch für ein paar Tage, nein, die nächsten Jahre werden hier stattfinden. Nach zwei Jahren Deutschland-Abstinenz suche ich immer wieder nach wesentlichen Veränderungen. Meine Informationsquelle war fast ausschließlich das Internet während dieser Zeit und was habe ich nicht alles erwartet. Ein vollkommen verändertes Land, vor allem nach der Flüchtlingskrise. Und was finde ich vor? Alles beim Alten. Nix hat sich verändert und wenn, dann nach meinem Empfinden nicht zum Schlechten.

Ändern kann sich das allerdings am Sonntag. Wenn die AfD drittstärkste Kraft wird oder auch nur knapp über die Fünf-Prozent-Hürde hüpft. Das ist eine Entwicklung, die mir wirklich Angst macht. Bedroht fühle ich mich nicht von Ausländern – hätte ich Angst vor ihnen, wären die letzten zwei Jahre ganz schön stressig gewesen. Bedroht fühle ich mich durch nationalistische Töne, Intoleranz, Populismus. Für mich stand nach den amerikanischen Wahlen schnell fest, dass mir gerade sehr wenig der Sinn danach steht, in den nächsten Jahren in die USA zu reisen. Das Trumpsche Gedankengut, über das wir hier den Kopf schütteln, könnte aber schon ab nächster Woche in unser Parlament Einzug halten. Germany first, Schließung der Grenzen, 12-jährige ins Gefängnis, keine Beweise für den Klimawandel – wozu das führt, kann man ja gerade täglich auf der anderen Seite des Atlantiks beobachten.

Ich denke zurück an die Reise, an Kanada mit seiner beeindruckenden Willkommenskultur, Australien und Neuseeland, voll mit europäischen Wirtschaftsflüchtlingen des 19. und 20. Jahrhunderts, Malaysia mit dem bunten Völkermix. Alles Länder, denen es relativ gut geht. Ich denke an die Erinnerungsorte, die sich mir hier in Stuttgart bieten: der indische Supermarkt um die Ecke, der sich ein wenig wie Sri Lanka oder Mauritius anfühlt, Erics türkische Wasserpfeifenhöhle, die auch in Istanbul stehen könnte, die beiden fröhlichen Afrikanerinnen, die abends unsere Büros putzen. Ich denke an die westlichen Touristen, die in Phnom Penh mit kleinen Jungen in schmierigen Häusern verschwanden. Idioten gibt es überall, bei uns genauso wie anderswo. Natürlich will ich, dass Menschen dafür bestraft werden, in Deutschland, in Kambodscha und sonst wo auf der Welt. Unser Rechtssystem gibt das aber her, dafür brauchen wir keine Populisten.

Mir haben viele Menschen gesagt, sie würden mich beneiden um unsere große Reise. Reisen scheint fast jeder toll zu finden. Wohl nicht nur wegen der Naturwunder. Es sind doch in erster Linie die Menschen und ihre Kultur, die uns in fernen Ländern faszinieren. Aber bitte nicht hier vor unserer Haustür? Wollen wir auf diese ganze Vielfalt, die uns die Welt quasi nach Hause bringt, verzichten, weil wir meinen, wir könnten in unserem Wohlstand nicht abgeben? Meine Erfahrung im Prozess des Wiederankommens ist, dass Deutschland ein bisschen mehr Lebendigkeit ganz gut vertragen kann.

Alles so Gedanken, die mir durch den Kopf gehen. Ankommen heißt auch, sich auseinander zu setzen. Ich hoffe wirklich, dass das morgen gut geht.

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